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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes
Autoren: Lian Hearn
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oder Ausgestoßene sind. In meine Armee wird jeder aufgenommen.«
    Kaede erwiderte nichts; ich konnte mir vorstellen, dass diese Ideen ihr seltsam und abstoßend erschienen. Vielleicht glaubte ich nicht mehr an den Gott der Verborgenen, aber das änderte nichts daran, dass ihre Lehren mich geprägt hatten. Ich sah wieder vor mir, wie die Bauern am Torhaus auf die Otorikrieger losgegangen waren. Ich hatte es gutgeheißen, weil ich sie als ebenbürtig ansah, aber Makoto war entsetzt und wütend gewesen. War er im Recht? Hatte ich ein Ungeheuer freigelassen, das ich nie und nimmer würde kontrollieren können?
    »Glauben die Verborgenen auch, dass Frauen dieselben Rechte haben wie Männer?«, fragte Kaede leise.
    »In Gottes Augen ja. Für gewöhnlich sind die Priester Männer, aber wenn es keinen Mann im passenden Alter gibt, werden die älteren Frauen zu Priesterinnen.«
    »Und würdest du mich in deiner Armee kämpfen lassen?«
    »So gewandt, wie du bist, und wenn du eine andere Frau wärst, würde ich mich freuen, dich im Kampf an meiner Seite zu haben wie in Inuyama. Aber du bist die Erbin von Maruyama. Wenn du in der Schlacht umkämst, wäre unser Vorhaben komplett gescheitert. Und davon mal abgesehen würde ich es nicht verwinden.«
    Ich zog Kaede an mich, vergrub mein Gesicht in ihrem Haar. Es gab noch etwas anderes, worüber ich mit ihr reden musste. Es betraf eine weitere Lehre der Verborgenen, eine für die Kriegerklasse unbegreifbare: dass es verboten war, sich selbst das Leben zu nehmen. Ich flüsterte: »Hier waren wir in Sicherheit. Wenn wir erst einmal aufgebrochen sind, wird alles anders sein. Ich hoffe, dass wir zusammenbleiben können, aber es wird Zeiten der Trennung geben. Viele wünschen meinen Tod, aber ich werde nicht sterben, ehe die Prophezeiung erfüllt ist und sich unser Land in Frieden von Meer zu Meer erstreckt. Ich möchte, dass du mir versprichst, dass du, ganz gleich, was auch geschieht oder was man dir berichtet, nicht glauben wirst, dass ich tot bin, ehe du dich mit eigenen Augen davon überzeugt hast. Versprich mir, dich nicht umzubringen, bis du mich tot gesehen hast.«
    »Ich verspreche es«, flüsterte sie. »Und du musst dasselbe tun.«
    Ich gelobte es ihr. Als sie bereits schlief, lag ich in der Dunkelheit noch wach und dachte über die Dinge nach, die sich mir offenbart hatten. Was immer mir bestimmt war, geschah nicht um meinetwillen, sondern für das Ziel, das ich vielleicht erreichte: ein Land von Frieden und Gerechtigkeit, in dem der houou nicht nur ab und an gesichtet wurde, sondern nisten und seine Jungen aufziehen würde.

KAPITEL 2

    Wir schliefen nur kurz. Noch bei Dunkelheit wachte ich auf und hörte jenseits der Mauern das gleichmäßige Stapfen von Männern und Pferden, die in langer Reihe den Bergpfad hinaufzogen. Ich rief nach Manami, dann weckte ich Kaede und sagte ihr, sie solle sich anziehen. Ich würde zurückkommen und sie holen, wenn es an der Zeit war aufzubrechen. Außerdem vertraute ich ihr die Kiste an, die Shigerus Aufzeichnungen über den Stamm enthielt. Ich hatte das Gefühl, diese Papiere ununterbrochen bewachen zu müssen, zum einen als Rettung vor dem Todesurteil, das der Stamm über mich verhängt hatte, zum anderen als mögliches Pfand eines Bündnisses mit Arai Daiichi, der inzwischen der mächtigste Kriegsherr der Drei Länder war.
    Im Tempel herrschte fieberhafte Betriebsamkeit. Die Mönche bereiteten sich nicht wie sonst auf ihre Morgenandacht vor, sondern auf einen Verteidigungsschlag gegen die Otoritruppen und auf die Möglichkeit einer lang anhaltenden Belagerung. Fackeln warfen flackernde Schatten auf die grimmigen Gesichter der Männer, die sich für den Kampf bereitmachten. Ich legte die Lederrüstung an, die mit roten und goldenen Borten eingefasst war. Es war das erste Mal, dass ich sie aus gutem Grund tragen musste. In ihr fühlte ich mich älter und ich hoffte, dass sie mein Selbstvertrauen stärken würde. Ich lief zum Tor hinüber, um mir anzusehen, wie meine Männer im Morgengrauen aufbrachen. Makoto und Kahei waren mit der Vorhut bereits losgezogen. Vom Tal schallten die Rufe der Regenpfeifer und Fasane herauf. Tautropfen hingen an den Bambusgrashalmen und an den dazwischen gespannten Netzen der Frühjahrsspinnen - Netze, die in Sekundenschnelle von Füßen niedergetrampelt wurden.
    Als ich zurückkehrte, hatten Kaede und Manami Männerkleidung zum Reiten angelegt und Kaede trug die Rüstung, die ich für sie ausgewählt hatte -
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