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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes
Autoren: Lian Hearn
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beugte sich zu mir hinunter und sagte laut und deutlich: »Takeo! Ich weiß. Ich verstehe dich. Ist schon gut. Wir werden Frieden haben. Aber nur du kannst ihn uns bringen. Du darfst nicht sterben. Bleib bei uns! Du musst bei uns bleiben, um des Friedens willen!«
    Die ganze restliche Nacht sprach er so zu mir und seine Stimme hielt die Geister in Schach und verband mich mit der diesseitigen Welt. Der Morgen kam und das Fieber fiel. Ein tiefer Schlaf übermannte mich, und als ich erwachte, war mein Geist wieder klar. Makoto war immer noch da und ich weinte vor Freude, dass er noch lebte. Meine Hand pochte, aber es waren die normalen Schmerzen der Heilung, nicht die schrecklichen Qualen des Giftes. Kenji sagte mir später, er glaube, dass mein Vater mir etwas mit auf den Weg gegeben haben musste, irgendeine Immunität im Blut des meisterlichen Giftmischers, die mich geschützt hatte. Bei dieser Gelegenheit vertraute ich ihm die Worte der Prophezeiung an, dass es meinem eigenen Sohn bestimmt sei, mich zu töten, und dass ich nicht glaubte, dass ich vorher sterben würde. Kenji schwieg lange.
    »Nun«, sagte er schließlich. »Bis dahin wird ja sicher noch eine ganze Menge Zeit vergehen. Wir kümmern uns darum, wenn es so weit ist.«
    Mein Sohn war Kenjis Enkel. Die Prophezeiung erschien mir grausamer als je zuvor. Ich war noch schwach und meine Tränen kamen leicht. Die Zerbrechlichkeit meines Körpers machte mich wütend. Es dauerte sieben Tage, bis ich wieder in der Lage war, nach draußen zum Abtritt zu gehen, und fünfzehn, ehe ich wieder auf einem Pferd sitzen konnte. Der Vollmond des elften Monats kam und ging. Bald stand die Wintersonnenwende bevor, dann würde die Jahreszeit umschlagen, der Schnee würde kommen. Meine Hand begann zu heilen: die breite, hässliche Narbe überdeckte fast völlig das silberne Mal der Verbrennung von jenem Tag, als Shigeru mir das Leben gerettet hatte, und die gerade Linie der Kikuta.
    Makoto saß so gut wie Tag und Nacht bei mir, doch er sprach wenig. Ich spürte, dass er mir etwas verheimlichte und dass Kenji ebenfalls davon wusste. Einmal brachten sie Hiroshi mit und ich war erleichtert zu sehen, dass der Junge am Leben war. Er wirkte fröhlich, berichtete mir von ihrer Reise, wie sie den schlimmsten Erdbeben entkommen waren und den kläglichen Überresten von Arais einst so mächtiger Armee begegnet waren, und wie wunderbar Shun gewesen sei, aber ich hatte stellenweise das Gefühl, dass er mir etwas vormachte. Manchmal kam Taku, der in nur einem Monat um Jahre gealtert zu sein schien, und setzte sich zu mir; ebenso wie Hiroshi machte er einen gut gelaunten Eindruck, aber sein Gesicht war blass und angespannt. Als meine Kräfte langsam wiederkehrten, fiel mir ein, dass wir längst Nachricht von Shizuka hätten haben müssen. Offensichtlich befürchteten alle das Schlimmste, doch ich war davon überzeugt, dass sie noch lebte. Und Kaede ebenfalls, denn beide waren mir während meines Deliriums nicht erschienen.
    Schließlich sagte Makoto eines Abends zu mir: »Seit einiger Zeit haben wir Neuigkeiten aus dem Süden. Dort sind die Zerstörungen durch das Erdbeben noch sehr viel schlimmer. In Lord Fujiwaras Residenz brach ein furchtbares Feuer aus…« Er ergriff meine Hand. »Es tut mir Leid, Takeo. Anscheinend hat niemand überlebt.«
    »Fujiwara ist tot?«
    »Ja, sein Tod wurde uns bestätigt.« Er zögerte und fügte dann leise hinzu. »Kondo Kiichi ist ebenfalls dort umgekommen.«
    Kondo, den ich mit Shizuka geschickt hatte…
    »Und dein Freund?«, fragte ich.
    »Er auch. Armer Mamoru. Ich glaube, er wird es fast begrüßt haben.«
    Ich schwieg eine ganze Weile.
    Makotos sanfte Stimme brach die Stille. »Man hat ihren Körper nicht gefunden, aber…«
    »Ich muss es genau wissen«, sagte ich. »Wirst du für mich hinreiten?«
    Er willigte ein, am nächsten Morgen aufzubrechen. Ich verbrachte die Nacht damit, mich mit der Frage zu quälen, was ich tun würde, wenn Kaede tot war. Mein einziger Wunsch wäre, ihr zu folgen. Aber wie konnte ich all jene im Stich lassen, die mir so treu zur Seite gestanden hatten? Als es zu tagen begann, hatte ich die Wahrheit von Jo-Ans und auch Makotos Worten begriffen. Mein Leben gehörte nicht mir. Nur ich konnte Frieden schaffen. Ich war dazu verdammt zu leben.
    In dieser Nacht wurde mir noch etwas anderes klar und ich ließ Makoto kommen, ehe er aufbrach. Ich machte mir Sorgen um die Aufzeichnungen, die Kaede mitgenommen hatte. Wenn es mir
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