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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes
Autoren: Lian Hearn
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Verband mit einem Mittel, von dem er hoffte, dass es als Gegengift wirken würde.
    Die Klinge war in der Tat vergiftet gewesen und ich stürzte in einen Höllenschlund aus Verwirrung, Schmerzen, Fieber und Verzweiflung. Während die langen qualvollen Tage verstrichen, merkte ich, dass alle dachten, ich würde sterben. Ich glaubte nicht, dass es so kommen würde, aber ich brachte kein Wort heraus und konnte die Lebenden daher nicht beruhigen. Stattdessen lag ich wild um mich schlagend und schweißnass im oberen Zimmer und unterhielt mich stammelnd mit den Toten.
    Sie schritten an mir vorbei, all jene, die ich getötet hatte, die für mich gestorben waren, die ich gerächt hatte: meine Familie in Mino, die Verborgenen in Yamagata, Shigeru, Ichiro, die Männer, die ich auf Befehl des Stamms getötet hatte, Yuki, Amano, Jiro, Jo-An.
    Ich sehnte mich danach, sie wieder lebend zu sehen, sie in Fleisch und Blut vor mir zu haben und ihre Stimmen zu hören; einer nach dem anderen verabschiedeten sie sich von mir und überließen mich meiner Verzweiflung und Einsamkeit. Ich wollte ihnen folgen, doch ich fand den Weg nicht, den sie gegangen waren.
    Im schlimmsten Fieberschmerz schlug ich die Augen auf und sah einen Mann im Zimmer. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen, aber ich wusste, dass es mein Vater war. Er trug Bauernkleider wie die Männer unseres Dorfes und er hatte keine Waffen. Die Wände lösten sich auf und ich war wieder in Mino; das Dorf war nicht abgebrannt und die Reisfelder waren leuchtend grün. Ich sah meinem Vater zu, wie er auf dem Feld arbeitete, in aller Ruhe und ganz vertieft in seine Aufgabe. Ich folgte ihm den Bergpfad hinauf und in den Wald und ich wusste, wie gern er diese Gegend mit all ihrer Vielfalt an Pflanzen und Tieren durchstreifte, denn ich liebte es ebenso.
    Er wandte den Kopf und lauschte in der mir vertrauten Art und Weise der Kikuta, als er aus der Ferne irgendein Geräusch vernahm. Im nächsten Moment würde er ihn an den Schritten erkennen: seinen Cousin und Freund, der gekommen war, um ihn zu töten. Ich sah, wie Kotaro plötzlich vor ihm auf dem Weg auftauchte.
    Er trug die dunkle Kampfkleidung des Stamms, wie er es getan hatte, als er zu mir gekommen war. Die beiden Männer standen wie erstarrt vor mir, jeder in seiner typischen Körperhaltung: mein Vater, der einen Schwur abgelegt hatte, niemals wieder zu töten, und der zukünftige Kikutameister, der vom Gewerbe des Tötens und des Terrors lebte.
    Als Kotaro sein Messer zog, stieß ich einen Warnschrei aus. Ich versuchte mich aufzurichten, aber meine Hände zogen mich nach unten. Die Vision verflog, ließ mich gequält zurück. Ich wusste, dass ich die Vergangenheit nicht ändern konnte, aber in der Intensität meines Fieberzustands wurde mir klar, dass dieser Konflikt noch immer keine Lösung hatte. Wie viele Menschen auch immer ein Ende der Gewalt forderten, sie schienen ihr nicht entkommen zu können. Es würde ewig und ewig so weitergehen, wenn ich nicht einen Kompromiss fand, einen Weg, Frieden zu schaffen, und der einzige Weg, den ich mir vorstellen konnte, war, jegliche Gewalt mir vorzubehalten, im Namen meines Landes und meines Volkes. Ich würde meinen Weg der Gewalt weiter fortsetzen müssen, damit alle anderen frei davon leben konnten, würde an nichts glauben dürfen, damit alle anderen glauben konnten, was sie wollten. Ich wollte es nicht. Ich wollte meinem Vater folgen und dem Morden abschwören, wollte so leben, wie meine Mutter es mich gelehrt hatte. Dunkelheit hüllte mich ein und ich wusste, wenn ich mich ihr ergab, würde ich meinem Vater folgen können und meine Zerrissenheit hätte für immer ein Ende. Nur ein hauchdünner Schleier trennte mich noch von der nächsten Welt, aber durch die Schatten hallte eine Stimme.
    Dein Leben gehört nicht mehr nur dir. Frieden kommt um den Preis des Blutvergießens.
    Hinter den Worten der heiligen Frau hörte ich Makoto, der meinen Namen rief. Ich wusste nicht mehr, ob er lebte oder tot war, wollte ihm erklären, was ich begriffen hatte und dass ich es nicht würde ertragen können, so zu handeln, wie es meine Pflicht wäre, und deswegen mit meinem Vater gehen würde, aber als ich versuchte zu sprechen, weigerte meine geschwollene Zunge sich einfach, die Worte zu formen. Sie kamen vollkommen unverständlich heraus und ich bäumte mich voller Unmut auf, überzeugt, dass wir getrennt werden würden, ehe ich noch einmal mit ihm reden konnte.
    Makoto hatte meine Hände fest gepackt,
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