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Der Gipfel

Der Gipfel

Titel: Der Gipfel
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston DeWalt
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Schein meiner Stirnlampe in der Däm merung auf die Spur.

    Um neunzehn Uhr dreißig erreichten alle Indonesier mit mir La ger V. Bashkirov und Vinogradski trafen eine Stunde später ein. jetzt waren die Indonesier die einzigen, die Sauerstoff brauchten. Ich nahm ihnen ihre Steigeisen ab und brachte sie im Zelt unter, das, um zwei Teile der Stangen an Höhe verkürzt, eher aussah wie ein großer Biwaksack. Wir hatten einen Kocher, Töpfe, Gas und zwei volle Sauerstoffflaschen. Es war nicht eben ein sonderlich komfortables Notlager, bot aber für sechs Mann Platz sowie Schutz vor der Au ßentemperatur, die bereits stark sank. Zum Glück herrschte Wind stille. In dieser Nacht würde der Everest sich gnädig zeigen. Ich stimmte zu, daß Apa mit Dawa abstieg. Am Morgen würden wir Funkverbindung aufnehmen.
    Jetzt begann, was Bashkirov diplomatisch als »dramatische Nacht« beschreibt. Evgeni Vinogradski ging sofort nach seiner Ankunft im Lager daran, Wasser heißzumachen, und hörte die ganze Nacht über nicht auf, während Bashkirov und ich uns abwechselten, den erschöpften Indonesiern Sauerstoff zu geben, einem nach dem anderen, immer wieder. Wir mußten den Sauerstoffvorrat strecken, damit er die ganze Nacht reichte. Blieb einer der drei zu lange ohne die kostbare Flasche, fing er zu schreien oder zu beten an. Wir arbeiteten zu dritt und schafften es mit vereinten Kräften, ohne daß ein Wort nötig gewesen wäre.

    Der Morgen kam windstill und mit prächtigem Farbenspiel. Als wir aus dem Zelt krochen, empfing uns das Panorama von Lhotse, Makalu und Kanchenjunga gegen Osten und Süden, während der alles überragende Everest-Gipfel von der Morgensonne in blendendes Licht getaucht wurde. Jetzt mußten wir nur noch den Abstieg hinter uns bringen. Unser knapp errungener Gipfelsieg würde erst dann ein echter Sieg sein, wenn alle Teilnehmer wohlbehalten im Basisla ger eintrafen.
    Wir machten eine letzte Runde Wasser heiß und gaben jedem etwas zu trinken. Die Indonesier hatten sich mental gut erholt, und sie waren ohne Erfrierungen davongekommen. Unser Sauerstoff war verbraucht, aber die gute Akklimatisation und die lange Nacht mit Sauerstoff hatten ihre positive Wirkung getan. Die drei bewegten sich langsam, aber sie bewegten sich. Wir wußten, daß uns Apa und die Sherpas vom Südsattel aus entgegenkommen würden. Die Welt lag im herrlichen Licht des Morgens vor uns, als wir aufbrachen.
    Die Lage war nun so stabil, daß ich es wagen konnte, mich mei nem ganz persönlichen Anliegen zu widmen. Auf 8400 Meter hielt ich Ausschau nach Scotts Leichnam, nach dem ich am Tag zuvor vergebens gesucht hatte. Jetzt sah ich, daß wir bei unserem Aufstieg in der Dunkelheit nur dreißig Meter entfernt an ihm vorbeigegangen waren. Ich hoffe, daß ich meine Mission in Jeannies Sinn ausführte. Die Flagge mit Abschiedsgrüßen von Scotts Frau und Freunden, mit der ich ihn hätte bedecken sollen, hatte ich am Gipfel zurückgelassen, da ich zu diesem Zeitpunkt die Verfassung meines Teams und die noch vor uns liegende Aufgabe nicht einschätzen konnte und auch nicht wußte, ob ich Scott beim Abstieg finden würde. Jetzt war das Schlimmste ausgestanden, und ich mußte meine Verpflichtung erfüllen und Scott bestatten, der fast gänzlich von Schnee bedeckt war. Ich bat Evgeni, mir bei dieser traurigen Aufgabe zu helfen. Wir bedeckten ihn mit Schnee und Felsbrocken und kennzeichneten die Stelle mit dem Schaft eines Pickels, den wir in der Nähe fanden. Diese letzte Ehre galt einem Mann, von dem mir vor allem sein strahlendes Lächeln und seine positive Einstellung als ideale und liebenswerteste Verkörperung amerikanischen Wesens in Erinnerung bleiben wird. Ich selbst, der ich von eher schwieriger Natur bin, hoffe, seinem Gedächtnis gerecht zu werden, indem ich versuche, ein wenig nach seinem Vorbild zu leben. Seine Flagge weht auf dem Gipfel.
    Evgeni und ich trafen zu Mittag am Südsattel ein. Misirin, Iwan und Asmujiono waren schon am Balkon mit Sauerstoff versorgt worden. Hier am Südsattel konnten sie endlich erleichtert aufatmen. Sie hatten es geschafft. Wir tranken Tee und machten uns für die Nacht fertig.
    Am Morgen des 28. April ging ich über den Sattel zur Kante un weit der Kangshung-Flanke, wo ich letztes Jahr in jener grauenvollen Nacht Yasuko Namba zurückgelassen hatte. Ich fand sie, zum Teil mit Schnee und Eis bedeckt. Ihr Rucksack fehlte, sein Inhalt lag in Fels und Eis um sie herum verstreut. Ich las ein paar Kleinigkeiten
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