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Der Gipfel

Der Gipfel

Titel: Der Gipfel
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston DeWalt
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war alles andere als ungefährlich.

    Ich erreichte das obere Ende des Hillary Step, während Iwan und Asmujiono hinter mir langsam den Grat hinter sich brachten. Dort beratschlagte ich mit Bashkirov, da wir nun entscheiden mußten, ob wir die anderen zurückschicken und mit Misirin allein weiterklettern sollten. Apa und Dawa waren schon zum Gipfel vorausgegan gen, Asmujiono war eben dabei, den Hillary Step zu überwinden, und Vinogradski tauchte am oberen Ende auf. Er hatte versucht, Iwan zur Umkehr zu bewegen, vergebens, wie sich zeigte, da dieser sich jetzt den Hillary Step hinaufkämpfte. Keiner der Indonesier war zur Aufgabe bereit. Ich machte mir zunehmend Sorgen um ihre Kraftreserven, da ich an den Abstieg dachte, den sie auch noch aus eigener Kraft bewältigen mußten. Obwohl es bis zum Gipfel nur mehr hundert Meter waren, sprach ich mit Iwan und Asmujiono und riet ihnen, sie sollten umkehren und absteigen. Sie weigerten sich.

    So kam es, daß wir alle weiter zum Gipfel aufstiegen. Ich ging voraus und holte dreißig Meter vor dem Gipfel Apa und Darwa ein, mit denen ich über die nachlassende Kondition von Asmujiono und Iwan sprach, die sich wie Roboter bewegten, völlig auf den Gipfel konzentriert. Ich wollte, daß sie umkehrten, solange sie noch konnten. Wir würden höchstwahrscheinlich das Lager auf 8500 Meter benutzen. Ich wollte so rasch wie möglich wieder vom Gipfel absteigen, da es mittlerweile fünfzehn Uhr, also sehr spät, geworden war. Das Wetter war stabil, doch hingen feine weiße Wolken über der Bergflanke. Da die Indonesier nach jedem Schritt eine Minute ausruhten, ehe sie den nächsten machten, würden sie noch eine halbe Stunde brauchen. Als ich den Gipfel erreichte, in dreißig Metern Entfernung gefolgt von Misirin und Bashkirov, sah ich Misirin im Schnee zusammenbrechen. Und ganz plötzlich überholte Asmujiono Misirin. Den Gipfel unverwandt im Blick, lief er benommen und wie in Zeitlupe darauf zu, um den flaggengeschmückten Dreifuß zu umarmen, der offiziell als Gipfel des Mount Everest gilt. Er nahm seine Kopfbedeckung ab, setzte seine Armeemütze auf und entfaltete die Flagge seines Landes. Meine Verwunderung hätte nicht größer sein können.Die Entschlossenheit dieses Mannes hatte den Indonesiern den Sieg beschert. Das mußte genügen, jetzt hieß es sofort umkehren!
    Ich überprüfte meine Kondition. Ich fühlte mich gut und hatte noch Kraftreserven. Auch Bashkirov und Vinogradski waren stark und ihr Denkvermögen ungetrübt. Wir waren noch immer entscheidungsfähig und hatten die Lage unter Kontrolle, während unsere Indonesier nur mehr automatisch funktionierten. Ihr Zustand konnte eine Gefahr heraufbeschwören.
    Ich machte Fotos von Asmujiono. Es war schon fünfzehn Uhr dreißig, also sehr spät. Nun erreichte Bashkirov den höchsten Punkt. Apa, der auf den Gipfel zurückkehrte, wurde von mir sofort hinunterbeordert, damit er das Zelt im Lager V aufstelle. Wir hielten uns insgesamt nicht länger als zehn Minuten auf. Vinogradski hatte sich dem Dreifuß bis auf wenige Meter genähert, als ich allen die Umkehr befahl. Vinogradski drehte sich um und ging zu Iwan, der sich achtzig Meter vor seinem Ziel befand. Und ich ging zu Misirin, der bis auf dreißig Meter ans Ziel herangekommen war. Da er im Schnee lag, kniete ich neben ihm nieder und sagte zu ihm, daß er den Gipfel erreicht hätte. Ich staunte nicht schlecht, als er sich zusammenriß und tatsächlich den Abstieg begann. Hundert Meter unter dem Gipfel trafen wir beim Abstieg auf Vinogradski und Iwan. Es war mir sehr schwergefallen, diesen Männern so knapp vor dem Ziel die Umkehr zu befehlen, aber ich hatte darauf bestanden, da nun jede Minute zählte. Schafften wir den Abstieg nicht mehr bei Tageslicht, geriet unser ganzer Notplan ins Wanken.
    Wir trafen um siebzehn Uhr auf dem Südgipfel ein, nachdem wir mühselig und langsam an alten Seilen entlanggegangen waren, die Apa zur Querung des Grates zusammengestückelt hatte. Ich ging als letzter, vor mir das Team. Dawa erwartete uns am Südgipfel. Beim Abstieg vom Südgipfel stürzte Misirin etliche Male, aber er raffte sich immer wieder auf und ging weiter. Iwan, der Vinogradskis Sauerstoff benutzte, hatte sich vom Seil gelöst und rutschte aus. Hätte Vinogradski ihn nicht gepackt und ans Fixseil gezogen, er wäre über hundert Meter tief abgestürzt. Asmujiono, der sich sehr gut bewegte, stieg mit den Sherpas ab. Ich übernahm die Führung der Gruppe und richtete den
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