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Der Gipfel

Der Gipfel

Titel: Der Gipfel
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston DeWalt
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Berg täglich Morgenopfer darbringen. Ich respektiere diese Frömmigkeit. Die Gesichter der Teammitglieder und der Gipfelgruppe waren während der Zeremonie von tiefem Ernst und äußerster Konzentration geprägt. Der Rest des Tages galt persönlichen Vorbereitungen. Unmittelbar vor dem Aufstieg herrscht immer angespannte Erwartung, die bei mir in meditative Ruhe, zugleich aber auch in Vorfreude auf das Kommende übergeht.
    Ich wußte, daß Lager V noch nicht stand. Apa versicherte mir, es würde am Gipfeltag fertig sein. Mit dem russischen Lhotse-Team, das sich in Lager III akklimatisierte, vereinbarten wir Hilfeleistung bei einem eventuellen Notfall. Eine Stufe tiefer sollte uns das zweite Gipfelteam unterstützen, das mit den Sherpas in Lager II blieb.
    Bashkirov, Vinogradski, Apa und ich würden beim Gipfelvorstoß mit Funkgeräten ausgestattet sein. Einer oder zwei von uns würden die Gipfelgruppe ständig betreuen. Auf dem Südsattel sollten zwei Sherpas mit einem Funkgerät warten, zusätzlich würden wir Funkkontakt mit den Russen in Lager III und unseren Leuten in Lager II sowie im Basislager halten.
    Die Wetterberichte aus Kathmandu waren ermutigend. Eine kurze Störfront war gerade abgezogen, und die fünf vor uns liegenden Tage sahen sicher aus. Sicher ist aber ein relativer Begriff. Am Gipfel des Mount Everest befindet man sich am Scheitelpunkt langer Flußtäler, deren von Alluvialplateaus durchsetzte Hänge mit zu nehmender Höhe immer steiler werden. Mit dem Ansteigen der Tagestemperatur kondensiert Feuchtigkeit in den Tälern, die im Tagesverlauf bis zu den Berggipfeln aufsteigt. In der zweiten Tageshälfte ist daher in Gipfelhöhe mit Wind und etwas Bewölkung zu rechnen. Auf 8000 Meter Höhe können auch gute Wetterbedingungen zur Herausforderung werden. In den nächsten Tagen war zwar keine Verschlechterung zu erwarten, doch mußte man auch den normalen Wetterablauf beachten. Und wir wußten, daß wir nur langsam vorankommen würden, ein unlösbares Problem, das wir mit unserem Lager V auf 8500 Meter Höhe entschärfen wollten.

    Am 22. April um Mitternacht ließen drei Russen und sechs Indonesier bei Vollmond die Sicherheit des Basislagers hinter sich und stießen ins Unbekannte vor. Wir stiegen rasch zu Lager II auf. Unser indonesisches Team, das gut bei Kräften war, kam auch zügig voran und legte die Strecke in sechs Stunden problemlos zurück. Am 23. April ruhten wir uns in Lager II aus. Am 24. ließen wir hier das zweite Gipfelteam und die Sherpas zurück. Bashkirov, Vinogradski und ich stiegen mit Misin, Asmujiono und Iwan zum Lager III auf. Unser Team agierte selbständig und machte einen stabilen Eindruck, so daß emotionaler Beistand oder lockeres Geplauder zur Ablenkung sich erübrigten. Am 24. April stürmte es auf dem Südsattel. Wir kontaktierten Captain Rochadi im Basislager. Er wiederum nahm Verbindung mit dem Wetterdienst in Kathmandu auf, der meldete, daß die Winde keine ernste Wetterverschlechterung bedeuteten. Sehr wahrscheinlich würden sie in den nächsten zwei Tagen abflauen. Wir beschlossen, alle Teammitglieder im Lager III zu belassen und die Sherpas zum Lager II zurückzuschicken. Die Entscheidung hinsichtlich der Sherpas mußte Apa treffen. Er versicherte mir, dafür zu sorgen, daß das Notlager am Gipfeltag bereit wäre. Am 24. April ruhten wir uns aus, und am 25. April erreichte das Team zwischen fünfzehn und siebzehn Uhr den Südsattel. Die Indonesier hatten die Route ohne zusätzlichen Sauerstoff bewältigt. Ihre Verfassung war gut, sie waren aufeinander eingespielt, und sie waren motiviert.
    Auf dem letzten Stück zum Gipfel sollte jeder der Indonesier zwei Sauerstoffflaschen tragen und davon ständig zwei Liter pro Minute verbrauchen. Unsere Sherpas, die selbst Sauerstoff benutzten, wür den drei zusätzliche Flaschen für jedes Teammitglied tragen. Wir wußten, daß das Treten der Spur auf unserer Route sehr viel Kraft kosten würde, da der Schnee stellenweise schenkeltief und von 8100 Meter bis 8600 Meter knietief lag. Da wir in diesem Jahr als erste Expedition aufstiegen, mußten sämtliche Seile der Route erst fixiert werden. Bashkirov, Vinogradski und ich beschlossen, je zwei Sauerstoffflaschen für den Aufstieg zu tragen, und bestanden darauf, daß Ana den Sherpas zwei zusätzliche Flaschen für jeden von uns auflud.

    Daß ich mich bei diesem Gipfelvorstoß für den Gebrauch von Sau erstoff entschied, hat dreierlei Gründe, doch war ich in diesem Punkt
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