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Der geschmuggelte Henry

Der geschmuggelte Henry

Titel: Der geschmuggelte Henry
Autoren: Paul Gallico
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über waren, hatte sie Amerikaner engagiert, schwarze und weiße, Dienstboten, die im Hause wohnten, ihren Schnaps austranken und ihr Parfüm benutzten, oder Tagesmädchen, die morgens kamen und abends meistens mit irgendeinem Kleid, einer Bluse oder einem Wäschestück von ihr, das sie unter dem Mantel versteckten, wieder gingen. Sie wußten nicht, wie man rein macht, Staub wischt oder fegt, Gläser spült oder Silber putzt; sie ließen Fußspuren auf dem Boden zurück, wo sie, unbeweglich wie Statuen, stundenlang nichtstuend auf ihre Besen gestützt, gestanden hatten. Keiner von ihnen hatte Sinn für Häuslichkeit oder schöne Dinge. Sie zertepperten ihr gutes Geschirr, Lampen und Nippes, verdarben ihre Überzüge und Wäsche, brannten mit ihren Zigaretten Löcher in die Teppiche und zerstörten ihren Besitz und ihren Seelenfrieden. Diesem entsetzlichen Zuge schloß sich jetzt eine lange Reihe Köchinnen mit sauertöpfischen Mienen an, deren jeder sie einige der grauen Haare verdankte, die sie schon hatte. Einige hatten kochen können, andere nicht. Aber alle waren unfreundliche Weiber mit allen möglichen Schrullen und schlechten Charakteren, erbitterte Tyrannen, die für die Dauer ihres Aufenthalts in ihrem Heim das Regiment übernommen und sie terrorisiert hatten. Die meisten von ihnen waren ein bißchen blöde und einige nur einen Schritt vom Irrenhaus entfernt. Keine hatte sich je sympathisch oder nett gezeigt, und das einzige, woran sie alle dachten, waren die von ihnen zu ihrem eigenen Wohlbefinden festgelegten Vorschriften.
    Ein Schlüssel drehte sich im Schloß. Die Tür ging auf, und herein kam Mrs. Harris, wie immer mit ihrer Plastiktasche, in der sie Gott weiß was mit sich herumschleppte. Sie hatte einen zu langen Mantel vom vorigen Jahr an, den ihr jemand geschenkt hatte, einen wahrlich uralten Blumentopfhut auf, ein Andenken an eine längst verblichene Kundin, der aber jetzt durch den Kreislauf der Mode plötzlich wieder hochmodern geworden war.
    «Guten Morgen, Madam», sagte sie heiter. «Ich komme heute etwas früher, aber da Sie gesagt haben, Sie hätten heute abend einige Freunde zum Essen da, hielt ich es für gut, gründlich reinzumachen, damit die Wohnung wie ein Schmuckkästchen aussieht.»
    Mrs. Schreiber, vor deren innerem Auge eben noch die grausige Parade all ihrer früheren Dienstboten vorbeigezogen war, erschien Ada Harris wie ein Engel, und bevor sie wußte, was sie tat, lief sie auf die kleine Putzfrau zu, schlang die Arme um ihren Hals, drückte sie an sich und rief:
    «Ach, Mrs. Harris, Sie wissen ja gar nicht, wie froh ich bin, daß Sie da sind — wie unendlich froh!»
    Und dann begann sie unerklärlicherweise zu weinen. Vielleicht kam es daher, daß Mrs. Harris sie ihrerseits an sich preßte, vielleicht weil sie sich von dem inneren Druck befreit fühlte, der der guten Nachricht von der Beförderung gefolgt war, jedenfalls schluchzte sie: «Ach, Mrs. Harris, meinem Mann ist etwas Wunderbares geschehen. Wir ziehen nach New York, aber ich fürchte mich so — ich fürchte mich so entsetzlich.»
    Mrs. Harris hatte keine Ahnung, was das alles bedeutete, aber sie wußte genau, was sie jetzt tun mußte: Sie stellte ihre Tasche ab, klopfte Mrs. Schreiber auf den Arm und sagte: «Aber, aber, Liebe, regen Sie sich nicht so auf. Ada Harris wird Ihnen jetzt eine Tasse Tee machen, und dann werden Sie sich besser fühlen.»
    Es war ein Trost für Mrs. Schreiber, sie die Tasse Tee machen zu lassen, und sie sagte: «Machen Sie sich aber auch eine!» Und als die beiden Frauen in der Küche ihren Tee schlürften, berichtete Mrs. Schreiber ihrer Geschlechtsgenossin, Mrs. Harris, ausführlich von dem großen Glück, das ihrem Mann und ihr widerfahren war, von der bevorstehenden Veränderung ihres Lebens, von der unheimlichen, riesigen, zweistöckigen Wohnung, die sie in Amerika erwartete, der Abreise in zwei Wochen und vor allem von ihren Dienstbotensorgen. Geradezu mit Behagen schilderte sie der verständnisvollen Mrs. Harris all die Dienstbotenschrecken und -katastrophen, die sie auf der anderen Seite des Atlantik erwarteten. Das erleichterte sie und gab Mrs. Harris das stolze Gefühl britischer Überlegenheit, so daß sie eine noch größere Zuneigung zu Mrs. Schreiber fühlte.
    Als Mrs. Schreiber mit ihrem Bericht fertig war, blickte sie die kleine Putzfrau mit den Apfelbäckchen von neuem warm und liebevoll an. «Ach, wenn nur jemand wie Sie in New York wäre, um mir zu helfen, selbst wenn es
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