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Der geschmuggelte Henry

Der geschmuggelte Henry

Titel: Der geschmuggelte Henry
Autoren: Paul Gallico
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Blitz nie zweimal an der gleichen Stelle einschlug.
    Aber in eben diesem Augenblick, da man den kleinen Henry in der Küche von Willis Gardens Nr. 3 verprügelte, wobei das schauerliche Gegröle von Kentucky Claiborne das Wimmern des Kindes übertönen sollte, und Henry dann wieder einmal mit hungrigem Magen ins Bett gesteckt wurde, legte das Schicksal schon den Grundstein für eine unglaubliche Veränderung nicht nur in Henrys, sondern auch in Ada Harris’ und Mrs. Butterfields Leben.
    Es geschah kein Wunder; nichts Ungewöhnlicheres ereignete sich, als daß zwei Gruppen von Männern sich an dem großen Tisch in dem Konferenzzimmer eines gigantischen, sechstausend Meilen entfernten Hollywooder Film- und Fernsehstudios gegenübersaßen und einander so giftig anblickten, wie es nur Männer vermögen, die um die Macht kämpfen.
    Sieben Stunden später, nachdem hundertdrei Tassen Kaffee getrunken und anschließend zweiundvierzig Havanna Perfectos geraucht worden waren, spiegelte sich in den Blicken immer noch der gleiche Haß, aber der Kampf war vorüber. Ein Kabel wurde abgeschickt, das direkt und indirekt für das Leben eines Häufleins sehr verschiedener Menschen, von denen einige noch nie etwas von der Nordamerikanischen Film- und Fernsehgesellschaft gehört hatten, Folgen haben sollte.

    Zu den Kunden, bei denen Mrs. Harris nicht nur regelmäßig, sondern begeistert tätig war — denn sie hatte ihre Lieblinge—, gehörten Mr. und Mrs. Joel Schreiber, die eine Sechszimmerwohnung im obersten Stock eines der umgebauten Häuser am Eaton Square hatten. Joel und Henrietta Schreiber waren ein kinderloses amerikanisches Ehepaar mittleren Alters, das seit drei Jahren in London wohnte, wo Mr. Schreiber als europäischer Vertreter der Nordamerikanischen Film- und Fernsehgesellschaft fungierte.
    Durch Henrietta Schreibers Freundlichkeit hatte Mrs. Harris damals ihre hart verdienten Pfunde gegen die notwendigen Dollars umwechseln können, die es ihr ermöglichten, ihr Diorkleid in Paris zu bezahlen. Keine von beiden ahnte, daß sie damit gegen das Gesetz verstießen. So wie Mrs. Schreiber es sah, blieben die Pfundnoten bei ihnen in England und verließen das Land nicht. Und das war doch genau das, was die Engländer wollten. Aber Mrs. Schreiber war eine jener etwas einfältigen Menschen, die nie ganz begreifen, wie die Dinge gehandhabt werden oder gehandhabt werden sollen.
    Dank Mrs. Harris’ Hilfe und Rat hatte sie sich daran zu gewöhnen vermocht, ihren Haushalt in London zu führen. Sie kaufte in der Elizabeth-Street ein und kochte selber, während die nie erlahmende Mrs. Harris täglich für zwei Stunden erschien und die Wohnung tadellos in Ordnung brachte. Jede plötzliche Veränderung oder jedes unvermutet auftretende Problem versetzten Mrs. Schreiber in höchste Erregung. Da sie, ehe sie nach England kam, sich mit der in Hollywood und New York verfügbaren Art von Hauspersonal hatte herumschlagen müssen, war Henrietta eine glühende Bewunderin von Mrs. Harris’ Flinkheit, Tüchtigkeit und Geschick im Reinemachen, aber vor allem ihrer Fähigkeit, mit fast jeder Situation fertig zu werden.
    Joel Schreiber trug, wie jeder Soldat Napoleons, einen Marschallstab im Tornister, eine imaginäre Ernennung zum Präsidenten in seiner Brieftasche. Er war ein tüchtiger Geschäftsmann, der sich bei der Nordamerikanischen Film- und Fernsehgesellschaft vom Botenjungen zu seiner jetzigen Stellung heraufgearbeitet hatte, aber ebenso hatte er immer von Kunst und Literatur geträumt und davon, was er tun würde, wenn er erst einmal Präsident wäre; eine Möglichkeit, die aber so fern lag, daß er nicht einmal mit seiner Henrietta darüber gesprochen hatte. Die Art von Stellung, die Mr. Schreiber hatte, führte nicht zum Präsidentensessel, zum beherrschenden Einfluß auf die Geschicke der Firma und zu Konferenzen mit den großen und fast großen Stars der Film- und Fernsehwelt.
    Dennoch, als die bereits erwähnte Konferenz in Hollywood beendet und das Kabel abgeschickt war, war der Empfänger niemand anders als Joel Schreiber. Er wurde darin aufgefordert, nach New York überzusiedeln, und man bot ihm einen Fünf-Jahres-Vertrag als Präsident der Nordamerikanischen Film- und Fernsehgesellschaft an. Zwei Machtgruppen, die um die Beherrschung der Firma kämpften, aber beide nicht stark genug waren, um diesen Kampf zu gewinnen, hatten sich schließlich erschöpft auf Schreiber, einen unbekannten Außenseiter, als Kompromißkandidaten und
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