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Der geschmuggelte Henry

Der geschmuggelte Henry

Titel: Der geschmuggelte Henry
Autoren: Paul Gallico
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Butterfield und mochte sie, denn sie war für Mrs. Harris eingesprungen, als diese nach Paris gefahren war, um sich ihr Diorkleid zu kaufen. «Aber glauben Sie denn, daß sie mitkommen würde?» fragte sie Mrs. Harris beklommen.
    «Auf der Stelle», erwiderte Mrs. Harris. «Abenteuerlustig, wie sie ist! Immer möchte sie ins Unbekannte aufbrechen. Manchmal kann ich sie nur schwer zurückhalten. Ach, sie wird schon mitkommen! Lassen Sie mich das nur machen.»
    Mrs. Schreiber ließ sie das nur allzu gern machen, und sie begannen über Einzelheiten der Reise zu sprechen — Mr. Schreiber wollte mit dem französischen Schiff «Ville de Paris» von Southampton in zehn Tagen abfahren — und so war auch für die beiden alles klar.
    Mrs. Harris wählte den psychologisch geeigneten Augenblick, um die Attacke auf ihre Freundin zu starten, nämlich die trauliche Stunde, da sie zusammen die letzte köstliche Tasse Tee des Tages tranken, und zwar diesmal in Mrs. Butterfields geräumiger Küche, die mit Kuchen und Biskuit, Marmelade und Gelee reichlich versehen war, denn wie ihre Figur bewies, aß Mrs, Butterfield gern gut.
    Zuerst schien es, als habe Mrs. Harris einen taktischen Fehler begangen, indem sie ihre Freundin auf ihrem eigenen Gelände überfiel, statt sie aus ihrer vertrauten Umgebung wegzulocken, denn Mrs. Butterfield blieb beharrlich bei ihrer Weigerung, mitzukommen, und schien auf jedes Argument von Mrs. Harris eine Antwort zu haben.
    «Was», rief sie, «ich soll in meinem Alter nach Amerika, wo sie sich alle so aufblasen und schießen und junge Leute sich gegenseitig mit Messern umbringen? Liest du denn die Zeitungen nicht? Und laß mich dir noch etwas sagen: Wenn du hinfährst, wird das dein Tod sein, Ada Harris. Und du sollst dann nicht sagen, ich hätte dich nicht gewarnt.»
    Mrs. Harris versuchte es mit dem finanziellen Angriff. «Aber, Violet, bedenke doch, was sie dir zahlen will — amerikanischen Lohn, hundert Pfund im Monat, und freie Station, das verdienst du hier nicht in drei Monaten. Du könntest deine Wohnung vermieten, während du weg bist, sparst deine Witwenpension, hast keinerlei Ausgaben — ja, und gefällt dir das nicht, fünfhundert Pfund zu haben, wenn du wieder nach Hause kommst? Denk doch, was für eine herrliche Zeit du dir damit machen könntest! Oder du legst es in Prämienobligationen an und gewinnst noch tausend Pfund dazu. Du brauchtest dann nie mehr auch nur einen Finger zu rühren.»
    «Geld ist nicht alles», entgegnete Mrs. Butterfield. «Du wüßtest das, Ada Harris, wenn du mehr in deiner Bibel läsest. Es ist die Wurzel allen Übels. Wer hat die größten Sorgen in der Welt? Wer muß immer wieder vor Gericht erscheinen, und wessen Name steht immer wieder in den Zeitungen? Millionäre. Das, was ich brauche, kann ich hier verdienen, und darum bleibe ich. Und ich würde auch nicht in dieses Sodom und Gomorra gehen, das New York heißt, wenn ich fünfhundert Pfund im Monat bekäme!»
    Mrs. Harris lud ihr interkontinentales Geschoß mit einer Tonne Sprengstoff. «Und wie ist es mit dem kleinen Henry?» sagte sie.
    Mrs. Butterfield blickte ihre Freundin leicht beunruhigt an. «Was ist mit dem kleinen Henry?» fragte sie, um Zeit zu gewinnen, denn in ihrer Aufregung und ihrem Entsetzen über Mrs. Harris’ Vorschlag hatte sie ganz vergessen, wer und was zu dem allem der Anlaß war.
    «Was mit ihm ist? Wir wollen seinen Vater suchen und dem armen kleinen Kerl zu einem anständigen Leben verhelfen, Violet Butterfield. Und ich bin überrascht und schäme mich in deiner Seele, daß du das vergessen hast. Du hast mich hundertmal sagen hören, wenn ich nur nach Amerika fahren könnte, dann würde ich seinen Vater schon finden und ihm sagen, wo sein Junge ist und was er durchmachen muß. Nun, und jetzt haben wir die Chance, hinzufahren und das zu tun, und da fragst du mich, was mit dem kleinen Henry ist! Liebst du ihn nicht?»
    Dies war fast ein Tiefschlag, und Mrs. Butterfield stieß einen lauten Protestschrei aus. «Ada! Wie kannst du so etwas sagen! Du weißt genau, daß ich ihn liebe. Habe ich ihn nicht immer gefüttert und gehätschelt wie eine Mutter?»
    «Aber möchtest du ihn nicht glücklich und geborgen bei seinem Vater sehen?»
    «Natürlich möchte ich das», erwiderte Mrs. Butterfield und wartete zu ihrer eigenen großen Überraschung mit einer Atomabwehrrakete auf, die Mrs. Harris’ Angriff zunichte machte. «Wer kümmert sich um ihn, wenn du fort bist und ich mitfahre? Was
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