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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes
Autoren: Andreas Winkelmann
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Ecke war ein Foto des getöteten Kunden und seiner Familie abgedruckt. Eine sympathisch lachende Familie. Laut Bildunterschrift Tom, Kristin und Lisa Merbold. Eine junge Frau mit langem Haar hielt einen kleinen Blondschopf an ihrer Seite, dahinter stand der Mann. Mit diesem Foto bewies die Zeitung wenig Geschmack. Die Familie hatte keinen Grund zu lachen. Eine Witwe und eine Halbwaise, und sein Bruder war schuld.
    Früher hatte Robert geglaubt, Eric sei einfach nur dämlich, doch das stimmte nicht. Er war gewiss keine Leuchte, konnte aber durchaus berechnend sein. Nein, Eric war einfach nur wie ihr Vater. Mit den Jahren war für Robert immer deutlicher geworden, wie sehr die beiden sich ähnelten. Keineswegs äußerlich, das war sein Part, aber Eric hatte den Charakter ihres Vaters übernommen, war praktisch eine Blaupause von ihm. Der Charakter ihres Vaters war angefüllt von Hass, Neid und animalischen Trieben. Niemand konnte es ihm recht machen, und alle, die erfolgreicher waren als er (und das waren viele) oder nicht in sein simples Weltbild passten, bekamen seinen Hass zu spüren. Seine Welt war voll schwuler Pisser, idiotischer Arschlöcher, scheiß Kanacken und weiß der Teufel noch was. In der Welt ihres Vaters existierte ein langer Bambusstock, der, solange er nicht gebraucht wurde, auf dem Heizkörper in der Küche lag. Und in der Familie Stolz war er oft gebraucht worden.
    Robert lehnte sich zurück und rieb sich mit beiden Händen in den Augen. Sein Leben für meins, schoss es ihm erneut durch den Kopf, und plötzlich wurde ihm die Parallelität bewusst. Am gestrigen Tag war sowohl auf ihn als auch auf seinen Bruder eine Waffe gerichtet worden. Er hatte überlebt, Eric nicht. Und warum hatte er überlebt? Wegen eines Fehlers, der so nur in Hollywoodfilmen vorkam, wenn es darum ging, den Helden noch ein Weilchen leben zu lassen. Niemand, der seine Waffe beherrschte, vergaß das Entsichern. Und doch war es so geschehen. Er verdankte sein Leben einem seltenen Zufall.
    Er nahm sich eine weitere Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Sven bot er keine an, er rauchte nicht.
    «Schlimme Geschichte.»
    Sven nickte. «Nicht sehr professionell. Aber so war er ja immer. Wie lange hast du ihn nicht mehr gesehen?»
    Robert musste nachdenken. Er musste sogar sehr weit in die Vergangenheit gehen, um darauf eine Antwort zu finden. Mit sechzehn war er von seinem Vater rausgeschmissen worden, jetzt war er dreiunddreißig. Eric hatte er in diesem Zeitraum vielleicht zweimal gesehen. Immer nur von weitem und ohne richtigen Kontakt. Das zählte wohl nicht.
    «Fast siebzehn Jahre. Und du kannst mir glauben, ich habe ihn nicht einen einzigen Tag vermisst.»
    «Tja, für seinen Bruder kann man nichts.»
    «Das ist wahr.»
    Sven trank von seinem Bier. Über den Rand des Glases hinweg beobachtete er Robert, dessen Augen nochmals den Titel der Zeitung überflogen.
    «Ist dir was aufgefallen?», fragte er, nachdem er das Glas abgesetzt hatte.
    «Was meinst du?»
    «Es hat nur Eric erwischt. Der andere ist mit der Kohle unterwegs.»
    Robert nickte. «So steht es hier. Wenn er genauso blöd ist wie mein Bruder, erwischen sie ihn auch bald.»
    «Das glaube ich nicht.»
    Robert blickte von der Zeitung hoch und sah Sven an. Etwas in dessen Stimme hatte ihn aufmerksam werden lassen. Es war der Tonfall, hinter dem sich immer Neuigkeiten verbargen.
    «Kennst du den Typ?»
    «Und ob. Und ich weiß auch, wohin er mit dem Geld ist. Aber mit dem Kerl ist nicht zu spaßen, das ist einer von der wirklich bösen Sorte.» Sven vergewisserte sich, dass sie allein waren, und beugte sich über den Tisch.
    «Aber wir beide, wir könnten ihm das Geld abnehmen. Mann, zweihunderttausend Euro, das macht hundert für jeden. Ich hab die Informationen, du das Knowhow. Das wird wie in alten Zeiten.»
    «Du weißt, wer es ist, und kennst sein Versteck?»
    Sven nickte eifrig.
    «Und, was sagst du? Bist du dabei? Das ist doch genau deine Kragenweite. Den bösen Jungs ihr Geld klauen.»
    Robert warf einen weiteren Blick auf die Zeitung. Von der ersten Seite strahlten ihm der kleine Blondschopf und die junge Frau entgegen. Ohne Sven anzusehen sagte er:
    «Ich bin dabei.»

5
    Sie hörte sein lautes «Ich bin wieder hier»; hörte ihn zur Haustür hereinkommen und sprang auf, obwohl sie wusste, dass es nur Wunschdenken war. Viermal passierte ihr das in den wenigen Tagen bis zur Beerdigung.
    Lisa hatte nicht wirklich verstanden, was es bedeutete, dass ihr
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