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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes
Autoren: Andreas Winkelmann
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zu wissen gab, er würde es gleich erfahren. Sie trafen sich zum Essen in Königs Bistro. Das war zwar keine erste Adresse, aber es war sauber und die Mahlzeiten groß. Außerdem lag es weit genug außerhalb.
    Robert parkte seinen Wagen auf dem Parkstreifen gegenüber des Bistros. Fünfzehn Minuten blieben ihm noch bis zum vereinbarten Treffen. Also blieb er sitzen und beobachtete das Lokal. Auf Sven hatte er sich bisher immer verlassen können, letztendlich schadete es aber nicht, vorsichtig zu sein. Vor allem nach der Geschichte letzte Nacht. Für die richtige Summe war auch Sven käuflich, da machte Robert sich nichts vor. Freunde gab es in diesem Gewerbe nicht, jedenfalls nicht für ihn.
    Ein Taxi hielt im strömenden Regen auf der anderen Straßenseite. Der Fahrer hastete mit hochgezogenen Schultern zum Kofferraum, holte eine Reisetasche heraus und übergab sie der alten Frau, die mittlerweile ausgestiegen war.
    Die Szene erinnerte Robert an die Zeit, als er selbst Taxifahrer war. Das lag einige Jahre zurück, und mit dem, was er jetzt auf dem Konto hatte, würde er wohl nie wieder andere Leute durch die Gegend kutschieren müssen.
    Das Taxi rauschte ab, die Frau verschwand im Regen. Ein paar Minuten danach verließ Robert den Wagen und lief durch den heftigen Schauer auf das Lokal zu.
    Einer der Vorzüge, die Robert an Königs Bistro schätzte, war, dass man den Raum von der Theke aus nicht vollständig überblicken konnte. Zum einen lag das an dem L-förmigen Grundriss, zum anderen an den hohen Holztrennwänden, von denen allerlei Grünzeug herunter rankte. Robert bestellte am Tresen eine Cola, zog die nasse Lederjacke aus und rutschte auf die Bank an einem Tisch weit hinten im Lokal. Die dunkle Tischplatte war abgewetzt von zahllosen Unterarmen, die auf ihr gerieben hatten, und sie hatte weiße Ringe von zu heißen Gegenständen, die auf ihr abgestellt worden waren.
    Sven verspätete sich um fünf Minuten. Als er kam, fiel Robert sofort auf, wie müde er wirkte. Ansonsten sah er aus wie immer: dürr und drahtig, mit gelockten blonden Haaren, um die ihn viele Frauen beneideten. Sven wirkte schwul, war es aber nicht. Anfangs hatte es Robert irritiert, wenn Sven sich tuntig gab, um dem Klischee zu entsprechen, doch es war nur eine Masche, nur ein Tick.
    Sie begrüßten sich mit Handschlag.
    «Wie geht es dir?», fragte Robert, nachdem sie sich gesetzt hatten.
    «Ich könnte klagen, dass dir nach zwei Minuten die Ohren vom Schädel fallen, aber das lasse ich lieber, weil es ein paar Dinge gibt, die du dir noch anhören musst. Die beschissene Nachtarbeit geht mir gewaltig auf den Senkel, aber ich muss noch mindestens drei Monate durchhalten, damit ich danach wieder Arbeitslosengeld kassieren kann. Mann, es gibt vier Millionen Menschen ohne Job, aber ausgerechnet für mich finden die Scheißer vom Arbeitsamt immer wieder was. Die können mich nicht mal für ein Jahr in Ruhe lassen, es ist wie verhext. Andere hocken Jahrzehnte zu Hause und tun nicht mehr, als ihre Alte zu verprügeln, die Batterie der Fernbedienung zu wechseln und regelmäßig ihren Scheck vom Sozialamt abzuholen. Es gibt einfach keine Gerechtigkeit mehr auf dieser Welt.»
    Sven hatte schnell und ohne Pausen gesprochen, so wie er es immer tat. Ohne seine blonden Locken, und mit brauner Schuhcreme im Gesicht, hätte er eine gute Parodie auf Eddie Murphy abgegeben.
    «Freut mich, dass es dir gutgeht», sagte Robert grinsend. «Ich hatte schon befürchtet, sie haben dich richtig an die Arbeit gekriegt.»
    «Da kannst du Gift drauf nehmen, mein Freund. Du glaubst ja nicht, wie viele Leute sich nachts Pakete liefern lassen. Ich meine … wo sind wir denn? Kann man diesen Scheiß nicht am Tage erledigen? Mann, ich krieg nicht mal mehr mit, was läuft. Kannst du dir das vorstellen?»
    Robert zog an seiner Zigarette und blies den Rauch in Richtung des Ganges.
    «Nein, kann ich mir nicht vorstellen.»
    «Na ja, stimmt auch nicht so ganz.» Er machte eine Pause. «Und, wie geht’s dir so, alter Haudegen?»
    «Danke, zurzeit ist es sehr ruhig.»
    Ungewöhnlich ernst sah Sven ihn an. «Du weißt es also wirklich nicht, oder?»
    Bevor Robert etwas erwidern konnte, trat der Wirt mit gezücktem Notizblock an ihren Tisch. «Was darf ich den Herren bringen?»
    Robert hatte nicht in die Karte geschaut. Er wusste ohnehin, was er wollte. «Bestell deiner Frau einen schönen Gruß von mir und sag ihr, sie soll mein Steak ruhig ein bisschen bluten lassen. Ich hätte es
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