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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes
Autoren: Andreas Winkelmann
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den großen Speicher, meinst du nicht?»
    Er warf einen Blick auf die Vertiefung und kratzte sich am Kopf.
    «Der Keller ist wirklich ein Dreckloch. Aber Wohnfläche, Zuschnitt und Grundstück müssen stimmen. Und das tun sie allerdings, oder?»
    Was blieb ihr anderes übrig, als zu nicken? Ja, ja, er hatte recht.
    Er warf ihr einen gönnerhaften Blick zu. Ja, ja, sie würden den Keller nicht nutzen, niemals, außer für ein paar alte Sachen vielleicht, die sie hier runterschaffen könnten. Selbst das war zu überlegen, wegen der Feuchtigkeit, aber mein Gott, sollten sie deswegen etwa …? Tom hatte recht: Wohnfläche, Zuschnitt und Grundstück. Und die stimmten weiß Gott!
    Sie nickte schließlich und ließ sich von Tom küssen, zuerst auf die Stirn, dann auf den Mund.
    Plötzlich fühlte sich auch das rational an, und zum ersten Mal, seitdem er sie vor dem Altar geküsst hatte, war sie nicht bei der Sache.
    «Komm, Mäuschen, wir gehen noch mal nach oben. Ich will den Ausblick aus dem Schlafzimmer noch mal sehen, bevor ich von Rahden auf die Füße trete.»
    Ohne auf sie zu warten, stieg er die steile Treppe hoch. Sie konnte die Sohlen seiner Schuhe auf dem Beton schaben hören. Unwillkürlich zog sie die Schultern zusammen. Rückwärts, den Raum nicht aus den Augen lassend, tastete sie sich zur Treppe. Warum stand hier kein Gerümpel? Warum stand, von einem halb vergammelten Holzregal abgesehen, absolut nichts in diesem Keller? In den letzten sechs Monaten hatten sie vier alte Häuser besichtigt, deren Keller voll mit altem Gerümpel standen. Aber dieser Keller, so leer, so tot … Nicht mal Spinnen gab es hier unten.
    Als sie den Mauerdurchbruch erreichte, der den Raum vom Treppenaufgang trennte, blieb sie stehen und tastete links nach dem altmodischen Lichtschalter. Bevor sie das Licht löschte, sah sie noch einmal hinunter. Für einen winzigen Augenblick hatte sie den Eindruck, als wollte eine unendliche Tiefe sie hinuntersaugen. Quatsch, das ist nichts anderes als eine Delle im Lehmboden, eine Delle. Wahrscheinlich hat das Grundwasser da gestanden, und der Boden ist später abgesackt, verstehst du? So wird es gewesen sein, du Dummerchen, komm, bleib bitte rational.
    Entschlossen drehte sie den Lichtschalter, worauf die Glühbirne gehorsam erlosch, und stürmte die Treppe hinauf. Auf halber Höhe rutschte sie auf der schmalen Stufe ab. Instinktiv streckte sie beide Arme aus und stützte sich mit den Händen an den Wänden ab. Es gab keinen Handlauf! Tom musste unbedingt einen Handlauf anbringen, sonst geschah auf dieser Treppe noch ein Unglück. Aber wozu, wenn sie den Keller ja doch nicht nutzen wollten?
    Ihr Herz schlug schnell und heftig, als sie die Tür hinter sich zuschlug.
    «Ich bin hier!», hörte sie Tom von irgendwoher rufen.

2
    Herbert von Rahden, ihr Makler auf der langen Suche nach dem Objekt ihrer Begierde, konnte ihnen nicht viel über das Haus erzählen. Dieser überaus fette Mann, der ständig zu schwitzen schien und seinen Mund nie länger halten konnte, als es dauerte, sich eine Zigarre anzuzünden, war auffallend schweigsam, was das Haus betraf. Er kannte Daten und Fakten, aber keine Namen und schon gar keine Geschichte. Das Haus war vor fast genau hundert Jahren erbaut worden. Nicht dieses, ein anderes, aber dieses war nach dem Ende des Krieges aus den Resten des anderen entstanden. Das genaue Alter war also schleierhaft. Der Keller hielt wohl den Rekord, jene Wand stammte vielleicht ebenfalls aus Gründerzeiten, genauso wie das Fachwerk des vorderen Giebels, wohingegen das Dach jüngeren Datums sein dürfte.
    Nachdem sie sich am Tag der Besichtigung per Handschlag einig geworden waren (Tom hatte von Rahden sogar um dreißigtausend Euro drücken können), hatte es noch zwei weitere Treffen mit dem Makler gegeben. Bei jedem war er Kristins Fragen ausgewichen: «Nein, haha, wie kommen Sie nur darauf? Warum sollte das Haus eine interessante Geschichte haben? Es stand so lange leer, weil es eben so weit draußen liegt und renovierungsbedürftig ist. Oh Gott, nein, davon weiß ich nichts. Vielleicht ist mal jemand darin gestorben, aber woher soll ich das wissen, großer Gott!»
    Sie kauften es, betranken sich einen Abend sinnlos vor Freude und begannen mit der Renovierung. Um die Kosten zu senken, machten sie das meiste selbst. Vor seinem Studium hatte Tom Maurer gelernt und er war geschickt. Unter seinen Händen verwandelte sich das alte Haus nach und nach in ein Schmuckstück. Kristin mochte
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