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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas
Autoren: Antje Babendererde
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dich.«
    Und er hatte gar nichts gesagt. Er hatte mir die Tür vor der Nase zugeschlagen.
    Die Zeit tropfte dahin wie das Wasser aus einem lecken Hahn. Ich hörte, wie die anderen Motelgäste nach und nach zurückkehrten. Wasser rauschte in der Nachbardusche. Eine Toilettenspülung ging. Ein Fernseher wurde eingeschaltet und wieder ausgemacht.
    Dann war es still.
    Es war still, bis ich Schritte hörte. Nackte Füße, die die Stufen heraufkamen. Jemand, der vor meinem Fenster stehen blieb und lauschte. Ich hörte seinen Atem und rief flüsternd: »Javid?«
    Leise ging meine Tür auf und schloss sich wieder. Ein schwarzer Schatten stand vor meinem Bett. Es hatte funktioniert. Ich hatte ihn zu mir gewünscht, mit aller Magie, die ich aufbringen konnte. Und es war mir gelungen.
    Â»Copper?«, sagte er leise.
    Â»Ich bin hier«, antwortete ich ihm.
    Er setzte sich auf die Bettkante und ich spürte, wie die Matratze unter seinem Gewicht einsank.
    Â»Das ist für dich.« Er reichte mir etwas, das er in der Hand hielt.
    Weil ich so lange wach gelegen hatte, waren meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Ich erkannte den hölzernen Orca, den er geschnitzt hatte. Ich nahm ihn an mich, strich über seine verzierte Oberfläche und stellte ihn behutsam auf den Nachtschrank.
    Â»Danke«, sagte ich schlicht.
    Â»Ich konnte nicht schlafen«, sagte Javid.
    Â»Ich auch nicht«, flüsterte ich.
    Ich hockte mich hinter ihn und schlang meine Arme um seine Brust. Sein Haar lag feucht und schwer auf seinen Schultern und duftete nach Apfelshampoo. Er ist gekommen, dachte ich. Er ist zu mir gekommen.

30. Kapitel
    D er Morgen dämmerte schon, als Javid ging. Wie ein Dieb schlich er sich aus meinem Zimmer. Mit leeren Händen zwar, und doch nahm er etwas mit. Er hatte es nicht gestohlen, ich hatte es ihm geschenkt.
    Ich knipste die Lampe auf dem Schreibtisch an und besah meinen nackten Körper im Spiegel. Meine Brüste schienen gewachsen zu sein unter Javids Händen und auch meine Schultern waren runder geworden. Die Hüftknochen spießten nicht mehr so hervor und meine Beine erschienen mir zwar schlank, aber wohlgeformt.
    Sogar im Gesicht hatte ich mich verändert. Es war voller geworden und wirkte dadurch fraulicher. Meine Wangen glühten, wenn ich daran dachte, wo Javid mich überall berührt und wie er mich dabei geküsst hatte.
    Endlich wusste ich, wie sich der Körper eines anderen Menschen anfühlt. Wenn man diesen anderen Menschen so sehr mochte, wie ich Javid mochte, war es einfach wunderbar.
    In den vergangenen drei Wochen hatte Javid mir viele Türen geöffnet. Es waren Türen, die aus einem dunklen Raum führten, in den ich mich selbst eingeschlossen hatte. Er war einfach zu mir hereingekommen, ohne Klopfen, ohne Fragen und hatte Licht in den Raum gelassen. Jedes Mal, wenn ich durch eine der Türen sah, hatte sich mein Blick auf die Welt verändert. Auch ich hatte mich verändert.
    Die letzte Tür aber, die mich endgültig aus diesem Raum herausführte, musste ich allein durchschreiten. Ich musste lernen Abschied zu nehmen, ohne daran zu zerbrechen. Denn Abschied war nur eine Art Veränderung, die unzählige neue Möglichkeiten in sich barg.
    Ich nahm eine heiße Dusche und zog mich an. Dann setzte ich mich auf mein Bett zurück, um mich auf den Abschied von Javid vorzubereiten.
    Zu den sieben kanadischen Kanus waren nun drei dazugekommen. Tatkräftig wurden sie am Morgen von den vielen freiwilligen Helfern ins Wasser getragen. Javids Kanu war das kleinste, dafür aber unbestritten das Schönste. Stolz strahlte der Donnervogel in Schwarz und Rot vom Bug. Die Zeit, in der Javid und ich am Kanu gemalt hatten, strich noch einmal an mir vorüber. Ein Teil von mir würde ihn auf seiner Reise begleiten.
    Ganz Neah Bay hatte sich am Strand versammelt, um die Gäste und die eigenen Leute zu verabschieden. Die Luft schwirrte vom Summen munterer Gespräche an diesem sonnigen Morgen, obwohl die meisten Makah gestern noch lange getanzt und gefeiert hatten. Kichernde Kinder jagten barfuß durch die Beine der Erwachsenen und rollten sich im Sand.
    Dann begannen ein paar alte Männer und Frauen in traditioneller Kleidung die Handtrommeln zu schlagen. Dumpf hallte ihr Klang über den Strand und brach sich an den Wellen. Die Paddler der anderen Stämme stiegen in ihre Kanus und die Männer der Makah, die die
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