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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas
Autoren: Antje Babendererde
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herausgerissen. Ich hatte mich mehr und mehr in mich selbst zurückgezogen und war immer einsilbiger geworden.
    Aber war das nicht verständlich? Konnte denn niemand nachvollziehen, wie mir zu Mute war? Meine Mutter und ich, wir waren wie verwachsen gewesen. Ich wurzelte in ihr. Und nun war sie nicht mehr da.
    Mein Vater, der noch weniger mit ihrem Tod zurechtkam als ich, hatte sich wie ein Verrückter in seine Arbeit gestürzt und nahm nur noch am Rand wahr, dass es mich überhaupt gab. Ich war einsam. So einsam, dass es weh tat und ich mich immer wieder wunderte, warum ich nicht schrie vor Schmerz und Verzweiflung und Wut.
    Aber das tat ich natürlich nicht. Ich machte weiter wie bisher: ging jeden Tag zur Schule, montags zum Flötenunterricht und mittwochs in einen Malzirkel. Ich war nicht bei der Sache, aber zumindest waren die Erwachsenen so höflich mir das nachzusehen. Sie waren ganz furchtbar verständnisvoll, denn schließlich hatte ich einen schweren Verlust erlitten.
    Meine Klassenkameraden dagegen veränderten ihr Verhalten mir gegenüber nur für ein paar Tage. Die meisten sprachen mir zwar ihr Beileid aus, aber gleich darauf taten sie so, als ob ich gar nicht mehr vorhanden wäre. Eine Woche nach der Beerdigung meiner Mutter schien die Sache für sie abgeschlossen zu sein und sie setzten ihre Spötteleien fort. Ich nahm es ihnen nicht übel, weil ich wusste, dass ihnen einfach die Vorstellungskraft fehlte. Jeder von ihnen hatte noch beide Eltern, auch wenn drei oder vier Ehen geschieden waren und Vater oder Mutter nicht mehr zu Hause wohnten.
    Es war nicht dasselbe.
    Wahrscheinlich würden auch sie noch irgendwann lernen, was wirklicher Schmerz ist, dachte ich mir. Mich hatte es eben nur früher erwischt und ich hatte keine andere Wahl, als damit zurechtzukommen. Auch wenn es Tage gab, an denen mir das unmöglich erschien. Ich hatte Angst, dass meine Einsamkeit mich nie mehr verlassen würde.
    Doch jetzt waren Sommerferien und für ein paar Wochen brauchte ich mich wenigstens nicht der Großspurigkeit und dem Gespött meiner Mitschüler auszusetzen. Es war zwar nicht so, dass sie mich wirklich hassten oder quälten. Niemand war mein Feind. Aber ein paar hatten Freude daran, kleine, spitze Bemerkungen über mich fallen zu lassen. Besonders unter den Mädchen gab es einige, die es offensichtlich witzig fanden, mich zu ärgern. Ich weiß nicht, warum, denn ich hatte ihnen nie etwas getan. Ich glaube einfach, meine Welt war anders als ihre. Keine Ahnung, woran das lag, aber es wurde mir irgendwann klar und von da an kam ich besser damit zurecht.
    Auf jeden Fall war ich froh, dass ich sie allesamt erst einmal für sechs lange Wochen nicht sehen musste. Fehlen würden sie mir bestimmt nicht. Ich hatte nämlich Pläne. In 14 Tagen wollte ich zu Tante Elisabeth nach Brandenburg fahren. Sie war die Schwester meines Vaters und lebte jetzt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in dem großen, alten Bauernhaus, in dem ich aufgewachsen war. Tante Elisabeth pflegte meine inzwischen bettlägerige Großmutter Lene und machte meinem Vater ab und zu Vorwürfe, dass er sich so wenig um seine kranke Mutter kümmerte. Als ich sie jetzt fragte, ob ich in den Ferien für ein paar Tage kommen könnte, hatte sie mir das gerne erlaubt.
    Tante Elisabeth war ein bisschen hektisch und manchmal sehr laut. Trotzdem mochte ich sie. Vor allem aber mochte ich die Zwillinge Fabian und Sven, meine beiden gleichaltrigen Cousins, mit denen ich früher die verrücktesten Sachen erlebt hatte. Ich freute mich sehr darauf, sie wieder zu sehen. Ihre Späße würden mich vielleicht ein wenig ablenken.
    Nach einem zehnminütigen Fußmarsch stand ich vor dem schmalen Mietshaus aus roten Backsteinen, in dem ich wohnte. Papa hatte es vor zwei Jahren gekauft. Unten, im Erdgeschoss, hatte mein Vater sein Fotoatelier und die Dunkelkammer,darüber befanden sich unsere Zimmer. Als Mama noch da war, hatten wir zwei Etagen bewohnt. Seit drei Monaten vermietete mein Vater die oberste Etage an einen Studenten, weil wir nicht so viel Platz, dafür aber das Geld brauchten. Papa verdiente zwar gut in seinem Beruf, aber in den letzten beiden Jahren hatte er nicht mehr so viele Aufträge angenommen und Mamas Krankheit hatte eine Menge Geld verschlungen.
    Â»Bin wieder da«, rief ich in den dunklen Flur.
    Â»Ich bin in der Dunkelkammer«, kam es hinter
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