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Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
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—, dann kommen Sie nur, ich habe die Tür nicht verschlossen. Hier ist Ihr Gehalt für diesen Monat und auch für den nächsten, wegen der Kündigungsfrist.‹
    Kareendi ist nun arbeitslos. Wieder einmal steht sie auf der Straße. Sie geht nach Hause und brütet still über ihrem Kummer. Bis zum Abend bleibt sie in ihrem Zimmer und wartet auf ihren Freund. Ihr Herz schlägt schneller, wenn sie sich die Stimme des Geliebten ins Gedächtnis ruft. Man hängt an denen, die man liebt. Er wird ihr helfen, den Kummer zu ertragen. Endlich kommt Kamoongonye nach Hause. Kareendi kann ihm nicht schnell genug die Geschichte von Waigoko erzählen, von Waigoko, der seine behaarte Brust mit Geld glattrasierte. Eine moderne junge Frau verschmäht Waigokos Geld, um ihres Kamoongonyes willen — wo gibt es eine größere Liebe? Unsere Kareendi hat ihre Geschichte zu Ende erzählt. Sie wartet auf ein mitfühlendes Wort. Sie wartet auf die Küsse, die ihre Tränen trocknen werden.
    Aber nichts dergleichen.
    Kamoongonye senkt den Blick wie der scheue Leopard oder wie ein grasendes Lamm auf der Weide. Aber es ist alles Heuchelei — er beginnt, Kareendi eine Strafpredigt zu halten. Er schwört, ganz genau zu wissen, daß Kareendi in Waigoko Kiharas Bett gestiegen sei; ja, daß dieser Waigoko nicht einmal der erste sei, der von Kareendis Schoß gekostet habe. Ein Mädchen, das die Freuden des Reichtums einmal genossen habe, komme niemals mehr davon los. Wer nascht, findet Geschmack am Naschen. Ein Chamäleon wird immer ein Chamäleon bleiben. Schon während ihrer Schulzeit habe sie Umgang mit Männern gehabt, die aufgrund ihres Alters ihr Vater hätten sein können — er wisse ja, daß sie sogar als Schulmädchen Kinder gekriegt habe, da sei es nicht verwunderlich, daß sich ein solches Mädchen auch jetzt nicht zurückhalten könne. ›Sag mir eines, schamlose Kareendi-mit-dem-bereitwilligen-Schoß, du hättest mir doch nie erzählt, daß du diesem Waigoko erlaubt hast, seinen Schmutz an deinen Schenkeln abzuwischen? Nein, natürlich nicht. Du erzählst mir diese unglaubwürdige Geschichte jetzt nur, weil Waigoko sich von dir in Hotels für Moderne Liebe nicht mehr das Bett bereiten lassen will!‹ Kareendi ist sprachlos.
    Tränen strömen über ihr Gesicht, und keiner wischt sie ab. Bitterkeit kocht in ihrem Herzen.
    Kareendi stellt sich zahllose Fragen, die alle ohne Antwort bleiben. Die Kuh gibt keine Milch mehr, also ist sie nur noch fürs Schlachthaus gut?
    Für Kareendi ist alles aus. Sie steht wieder da, wo sie angefangen hat.
    So sage mir nun, du, der du mir die Hand gehalten hast, daß ich nicht noch einmal falle: Bedeutet diese Geschichte, daß die Kareendis im modernen Kenia nur einen einzigen Körperteil besitzen? Was wird Kareendi nun davon abhalten können, unstet durch die Straßen zu ziehen, als wäre sie eine Schwester des legendären Kain?
    Vom heutigen Tag an hat sich Kareendi gesagt, daß sie nun keinen Unterschied mehr kennt zwischen

    Geradebiegen und krümmen,
    Schlucken und ausspucken,
    Aufsteigen und Absteigen,
    Gehen und kommen.
    Ja, denn von heute an wird sie nie mehr zu unterscheiden wissen zwischen

    Den Lügnern und den Aufrichtigen,
    Den Narren und den Weisen,
    Zwischen Finsternis und Licht,
    Lachen und Weinen, Hölle und Himmel,
    Dem Reich Gottes oder dem des Satans.
    Wer sagt, daß es im Leben der Menschen auf Erden zweierlei Maß gibt?

    Tage voll Honig und Galle
    Tage des Lachens und des Weinens
    Und den Tag von Geburt und Tod?
    Ist für die Kareendis des modernen Kenia nicht ein Tag wie der andere? Denn am Tage ihrer Geburt wurde über ihren Körper bestimmt — nur eine Funktion gestand man ihnen zu. Wann werden die Kareendis des modernen Kenia ihre Tränen abwischen können? Werden sie jemals erfahren, was Lachen heißt?«
3
    Als Wariinga ihre Geschichte zu Ende erzählt hatte, hob sie den Kopf, um das Gesicht des jungen Mannes besser sehen zu können. Dann ließ sie ihre Augen die Racecourse Road entlangwandern und sah, daß die Menschen noch immer ihren Geschäften nachgingen, daß sich die Autos noch immer hupend aneinander vorbeischlängelten und daß sich Nairobi überhaupt nicht verändert hatte, seit man sie aus ihrer Wohnung in Ofafa Jericho hinausgeworfen hatte.
    In diesem Augenblick begannen die Glocken von St. Peter's Ciavers zu läuten und erinnerten die Gläubigen an das Abendgebet vor Sonnenuntergang. Wariinga und der junge Mann hörten den Glocken zu. Es war Wariinga, als sängen die
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