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Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
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Glocken:

    Komm, komm
    Halte fest an deinem Pflug
    Sieh nicht zurück,
    Komm, komm …
    Sie fragte sich: Woher kommen diese Stimmen, die ich immer wieder höre? Wohin werden sie mich führen? Obwohl sie seit langem in keiner Kirche mehr gewesen war, begann sie leise zu beten:

    Heilige Jungfrau Maria, Mutter Gottes
    Du, Heiliger Joseph,
    Und du, mein Schutzengel,
    Ihr alle Heiligen
    Bittet für mich,
    Daß ich der Sünde entsagen kann,
    Meinem Leben ein Ende zu machen
    Ehe meine Zeit auf dieser Erde abgelaufen ist.
    Behütet mich heute
    Und an jedem Tag meines Lebens
    Bis zum Tage meines Todes.
    Amen.
    Als die Glocken von St. Peter's Ciavers schwiegen, wandte sich Wariinga dem jungen Mann zu und sagte: »Danke, daß du mich so geduldig angehört hast. Mein Herz ist leicht, wie früher, nach der Beichte bei einem katholischen Priester.«
    »Vielleicht bin ich auch ein Priester — ein Priester, der noch darauf wartet, seine Weihen zu empfangen … Die Armut der Menschen Kenias hat mich gerufen … Deine Geschichte — ich meine die Geschichte von Kareendi und Waigoko und Kamoongonye — traf mich wie ein Speer ins Herz. Es gibt unzählige Kareendis in Kenia. Aber ich bin nicht wie du der Meinung, daß unsere Kinder niemals wissen werden, was lachen heißt. Wir dürfen niemals verzweifeln. Verzweiflung ist die einzige Sünde, für die es keine Vergebung gibt … Es ist die Sünde, die uns unser Volk und zukünftige Generationen nie verzeihen werden … Was hast du jetzt vor? Wohin wirst du gehen?«
    »Nach Ilmorog!«
    »Ilmorog? Kommst du aus Ilmorog?«
    »Ja. Ilmorog ist mein Zuhause. Warum?«
    »Weil … ach nichts … Ich hab nur so gefragt. Aber die Busse nach Ilmorog halten hier nicht. Diese Haltestelle hier, Kaka, fahren nur Busse an nach Kiambu, Nduumbeeri, Ting'aang'a, Ngeemwa, Ikinu, Karia-ini und Githunguri. Die Matatus nach Ilmorog sind dort drüben an der Haltestelle Nyamakima, wo auch die Wagen nach Nakuru abfahren.«
    »Ich weiß. Dort wollte ich eigentlich hingehen. Wer weiß, wozu es gut war, daß mich der Wind auf diese Straßenseite getrieben hat.«
    Wariinga erhob sich wie jemand, der am hellichten Tag aus todesähnlichem Schlaf zu neuem Leben erwacht. Sie hängte sich ihre Handtasche über die Schulter. »Also … alles Gute«, sagte sie zu dem jungen Mann. Sie war wirklich glücklich, aber auch ein wenig beschämt.
    »Ja, dir auch alles Gute — paß auf dich auf. Hoffentlich wird dir nicht mehr schwindlig.«
    Als Wariinga in Richtung Nyamakima davonging, rief der Mann hinter ihr her: »Warte noch einen Augenblick …«
    Wariinga blieb stehen und wandte sich um; es ging ihr durch den Kopf, ob er möglicherweise ein Kamoongonye sei, der meint, er habe eine nur allzu bereitwillige Kareendi gefunden.
    Der Mann öffnete die Tasche, die er bei sich trug. Er suchte nach etwas und nahm eine Karte heraus, die er Wariinga gab. Erklärend fügte er hinzu: »Ich habe dir doch gesagt, daß deine Geschichte, oder die Parabel von Kareendi, Waigoko und Kamoongonye, mich wie ein Speer ins Herz getroffen hat. Wenn du mehr über die Umstände erfahren möchtest, die moderne Kareendis und Waigokos hervorbringen, dann besuche das auf dieser Karte angekündigte Fest, wenn du nach Ilmorog kommst.«
    Der Mann entfernte sich. Wariinga ging die Racecourse Road hinunter durch das Gelände der ESSO-Tankstelle, über die River Road bis zur Haltestelle Nyamakima. Sie schaute nur einmal zurück, ob der Mann ihr gefolgt war. Sie sah niemanden. Ich habe ihn nicht nach seinem Namen gefragt, dachte Wariinga. Möglicherweise finde ich ihn auf der Karte, die er mir gab. Aber alle Männer, wer immer sie auch sein mögen, sind wahrhaftige Blutsauger. Er sagt, ich soll zu einer Party gehen — ich möchte aber zu keiner Party. Ich möchte auch keine weiteren Affären mehr, weder mit Waigokos, alten behaarten Männern, noch mit Kamoongonyes, jungen Liebhabern.
    An der Haltestelle warteten keine Matatus, weder nach Ilmorog noch nach Nakuru. Wariinga lehnte sich an die Wand eines kleinen Ladens, der gleich neben der Nyamakima Bar lag und in dem es Zwiebeln und Kartoffeln gab …
    Nach einer Weile bemerkte Wariinga, daß ihre Finger noch immer mit der Karte spielten, die der Mann ihr gegeben hatte. Sie hatte noch nicht einmal gelesen, was darauf stand. Sie hielt inne. Sie betrachtete die Karte genau. Auf der bedruckten Seite las Wariinga folgende Worte:

    DAS FEST DES TEUFELS!
    Kommen Sie und bilden Sie sich Ihr eigenes Urteil —
    Unter
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