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Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
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moderne und progressive Ideen. Wann immer Kareendi Anstalten macht, das Gespräch auf ihr Kind zu lenken, das zuhause bei ihren Eltern ist, bringt er sie mit Küssen zum Schweigen. Er sagt ihr: ›Ein Kind ist kein Leopard, der einem Menschen Wunden zufügen kann! Außerdem hast du geboren und das beweist, daß du kein Maultier bist!‹ Diese Worte lassen Kareendi in Freudentränen ausbrechen; von ganzem Herzen schwört sie ihm Treue: ›Weil mir das Glück beigestanden hat, und ich einen Kamoongonye gesucht und gefunden habe — einen modernen jungen Mann —, will ich, Kareendi, ihm niemals Anlaß zum Ärger oder zum Streit geben. Sollte er mich kränken, werde ich schweigen und wie der scheue Leopard oder ein weidendes Lamm die Augen niederschlagen. Ich werde ihn unterstützen, damit er schnell und ohne Schwierigkeiten sein Studium beenden kann. Dann können wir uns auf solider Grundlage ein Zuhause aufbauen. Niemals werde ich einem anderen nachschauen.‹
    Die anderen Mädchen, Kareendis Freundinnen, sehen mit neidischen Blicken zu. Sie erteilen ihr mancherlei Ratschläge: ›Kareendi, du solltest lieber mal was anderes probieren — nicht alle Körner in der Kalebasse sind gleiche, sagen sie. Kareendi gibt es ihnen zurück: ›Nur ein unruhiges Kind läuft auf der Suchenach Nahrung gerade dann von zuhause weg, wenn eine Ziege geschlachtet wird.‹ Aber die Mädchen lassen nicht locker: ›Liebe Kareendi, wir sind im neuen Kenia! Der kluge Mann sorgt vor. Wer heute spart, braucht morgen nicht zu hungern.‹ Sie antwortet: ›Zu viel Essen verdirbt den Magen.‹ Mit diesem und jenem versucht man sie umzustimmen: ›Immer nur dasselbe Gericht ist langweilige Aber Kareendi entgegnet: ›Eine geborgte Halskette mag den Verlust der eigenen bedeuten.‹
    Als Kareendi gerade meint, ihr Leben verlaufe endlich in ruhigeren Bahnen, beginnt Boss Kihara sie auszuhorchen. Eines Tages betritt er Kareendis Büro. Er steht neben der Schreibmaschine und tut so, als läse er, was Kareendi soeben getippt hat. ›Was haben Sie am Wochenende vor, Miss Kareendi?‹ fragt er. ›Ich würde mich freuen, wenn Sie mich auf eine kleine Safari begleiten würden — irgendwohin. Was halten Sie davon?‹ Kareendi lehnt höflich ab. Widerwillen in Höflichkeit verpackt, schafft kein böses Blut. Boss Kihara wartet geduldig in der Hoffnung, daß Kareendi langsam nachgeben werde. Zu viel Eile bricht die Yamswurzel. Ein Monat vergeht, dann spricht er Kareendi von neuem im Büro an: ›Miss Kareendi, heute abend ist eine Cocktail-Party im Paradise Club. ‹ Wieder findet Kareendi höfliche Worte, in die sie ihre Absage kleidet.
    Der Tag kommt, an dem sich Boss Kihara folgende Rechnung aufmacht: Zu viel Vorsicht beim Jagen verscheucht schließlich die Beute. Betteln erfordert ständig neue Taktik. Beim Baden entledigt man sich aller Kleider. Also macht er sich dreist an Kareendi heran: › By the way , Miss Kareendi, ich habe heute noch sehr viel zu tun. Sehr wichtige und sehr dringende Briefe sind zu beantworten. Ich möchte Sie bitten, nach fünf Uhr im Büro zu bleiben. Die Firma wird Ihnen Überstunden bezahlen.‹
    Kareendi wartet. Fünf Uhr. Boss Kihara ist in seinem Büro. Wahrscheinlich entwirft er die Briefe. Sechs Uhr. Alle anderen sind jetzt nach Hause gegangen. Boss Kihara ruft nach Kareendi. Er bietet ihr einen Stuhl an, so daß sie sich besser unterhalten können. Nach ein paar Augenblicken steht er auf und setzt sich auf die Schreibtischkante. Ein hinterhältiges Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. Nun findet Kareendi ihre Sprache wieder. › Mr. Boss , würden Sie jetzt bitte diktieren — ich habe heute abend noch etwas vor, und es wird gleich dunkel.‹
    ›Keine Sorge, Kareendi, wenn es spät wird, werde ich Sie inmeinem schwarzen Mercedes nach Hause bringen.‹
    ›Danke, aber ich möchte Ihnen wirklich keine Unannehmlichkeiten bereiten‹, antwortete Kareendi verbindlich, um ihr Befremden zu verbergen.
    ›Oh, das macht gar nichts. Ich könnte auch zuhause anrufen und meinen Privatchauffeur herbestellen, damit er Sie in Ihre Wohnung fährt.‹
    ›Ich benutze gerne die öffentlichen Verkehrsmittel. Bitte, wo sind die Briefe?‹
    Boss Kihara lehnt sich zu Kareendi hinüber. Seine Augen funkeln. Seine Stimme wird ganz leise:
    ›Kareendi, Liebling, meine Briefe sind eine Herzensangelegenheit!‹
    ›Eine Herzensangelegenheit?‹ fragt Kareendi schnell und tut so, als habe sie nicht verstanden, was er meint. ›Ist es denn
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