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Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
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seinen geheimnisvollen Worten angedeutet hatte; doch sie spürte, daß seine Worte hier und da mit ihren eigenen Gedanken übereinstimmten. Sie seufzte und sagte:
    »Deine Rede hat einen verborgenen Sinn. Aber du hast die Wahrheit gesagt. Mein Leid ist jetzt fast grenzenlos. Wer würde nicht Veränderungen wollen, um ihm zu entkommen?«
    Kaum hatte sie das gesagt, fühlte Wariinga, wie sich ihre Zunge löste, und sie begann zu reden, als wälzte sie eine schwere Last von ihrem Herzen. Sie sprach ruhig — weder laut noch leise, weder gehetzt noch zögernd, doch Schmerz, Leid und Tränen schwangen in ihrer Stimme mit.
2
    »Sieh mich an«, sagte Wariinga, dabei hielt sie ihren Blick gesenkt, als spräche sie zu sich selbst, »sieh mich an, oder irgend ein anderes Mädchen in Nairobi. Nennen wir sie Mahua Kareendi. Gehen wir hinaus aufs Land, in das Dorf, in dem sie geboren wurde. Kareendi ist nicht sehr lange zur Schule gegangen — oder sagen wir, sie hat die Grundschule abgeschlossen undanschließend eine Höhere Schule besucht. Wir könnten sogar annehmen, daß es eine gute Schule war; keine dieser Haraambe-Selbsthilfeschulen, wo die Armen in Gold bezahlen müssen, selbst wenn die Schule keinen Lehrer hat.
    Noch ehe sie die zweite Klasse erreicht, ist es schon passiert. Sie ist schwanger.
    Wer ist dafür verantwortlich?
    Es könnte ein Mitschüler sein. Dieser Freund besitzt keinen Cent. Ihre Freundschaft bestand in nichts anderem, als sich gegenseitig Romane von James Hadley Chase, Charles Mangua und David Maillu zu leihen oder sich die Lieder vorzusingen, die sie auf den Schallplatten von Jim Reeves, D. K. oder Lawrence Nduru gehört hatten. Kareendi, was wirst du tun?
    Auch ein Nichtstuer aus dem Dorf könnte die Schwangerschaft verursacht haben. Er ist arbeitslos. Er hat nicht einmal eine Unterkunft. Sie liebten sich, weil sie zusammen Gitarre spielten und abends im Dorf tanzen gingen. Sie liebten sich in ihnen überlassenen Hütten oder auf dem freien Feld nach Einbruch der Dunkelheit. Kleine Kareendi, was wirst du bloß tun? Das Baby wird Nahrung und Kleidung brauchen.
    Vielleicht hatte der Nichtstuer auch einen Job in der Stadt, aber er verdiente nur fünf Shilling im Monat. Ihre Liebe lebte von Bruce-Lee- und James-Bond-Filmen, sie lebte von fünf Minuten Liebe in einer billigen Unterkunft, wenn sie in einem Matatu auf dem Weg nach Hause waren. Wer wird nun Kareendis Tränen trocknen?
    Aber auch ein reicher Mann könnte der Verantwortliche sein. Solche Affären sind heute Mode geworden. Dieser reiche Mann ist verheiratet. Ihre Liebe war das sonntägliche Rendezvous im Mercedes-Benz, sie wurde durch kleine Geldbeträge, die Kareendi als Taschengeld erhielt, ehe sie zur Schule zurückkehrte, am Leben erhalten, und sie bedeutete harte Drinks an Hotelbars weit weg vom Dorf.
    Mitschüler, Nichtstuer, reicher Mann — als Kareendi ihnen sagt, wie es um sie steht, reagieren sie alle gleich: ›Was? Wen willst du verantwortlich machen? Mich? Wie das denn? Geh mit deinen Hirngespinsten in den Wald! Liederliches Mädchen, Zehn-Groschen-Kareendi! Von mir aus kannst du weinen, bis deine Tränen Wasserkanister füllen … Du meinst wohl, du könntest, wo immer es dir paßt, Schwangerschaften sammeln und sie dann vormeine Tür legen, nur weil ich mir zufällig mal einen Spaß mit dir erlaubte!‹
    Nehmen wir an, Kareendi ist nicht auf den Mund gefallen. Die Arme in die Seite gestemmt steht sie da und schreit den Liebsten von gestern an: ›Du bildest dir wohl ein, du seist süß wie Zucker? Dann trinke ich lieber Tee ohne Zucker! Du vergleichst dich wohl mit einem Bus? Dann gehe ich lieber zu Fuß! Oder bildest du dir etwa ein, du seist ein Haus? Dann schlafe ich lieber draußen! Oder gar das Bett selbst? Lieber schliefe ich auf dem Fußboden! Ich habe den Glauben an glattzüngige Liebhaber verloren!‹ Aber Kareendi versucht nur, nach außen hin tapfer zu sein. In ihrem Inneren bäumt sich ihr Herz auf vor Wut.
    Nehmen wir an, Kareendi lehnt es ab, irgendwelche Mittel zu nehmen. Welch eine Schande, wenn eine Mutter ein totes Baby zur Welt bringt. Das Kind wird geboren. Sie wirft es weder in die Latrine, noch setzt sie es am Straßenrand oder in irgend einem Bus aus. Auch in den Wald oder zu einem Müllhaufen bringt sie es nicht. Kareendi überläßt die ganze Last ihrer Mutter oder ihrer Großmutter — die Last, dieses Kind zu versorgen, das in die Welt gekommen ist, ohne daß seine Eltern für sein Leben Vorsorge
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