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Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
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nach ihr.
    Aber sie brachte es nicht über sich, die makellose Schönheit ihres Körpers zu bejahen. Auf der verzweifelten Suche nach der Schönheit eines anderen Selbst sehnte sie sich danach, in eine andere Haut zu schlüpfen. Sie zog selten die Kleider an, die ihr standen. Sie richtete sich völlig nach dem, was die anderen Frauen trugen. Die jeweilige Mode — ob sie nun zu ihrer Hautfarbe und den Formen ihres Körpers paßte oder nicht — bestimmte die Wahl ihrer Kleidung. Manchmal erschien ihre Haltung verkrampft und unnatürlich, weil sie versuchte, den Gang eines anderen Mädchens nachzuahmen. Dabei vergaß sie, wie so oft, daß es heißt: Wenn man versucht, es anderen gleich zu tun, verliert man sein eigenes Gesicht.
    Beständig nagende Selbstzweifel und überwältigendes Selbstmitleid drückten Wariinga an jenem Samstag nieder, als sie auf der Suche nach einer Bushaltestelle durch die Straßen Nairobis lief. Sie hoffte, ein Matatu 2 zu finden, das sie zu ihren Eltern nach Ilmorog bringen würde.
    Selbst nachdem viele Tage vergangen waren, in denen sich ihr Leben in einer Weise verändert hatte, wie sie es sich nie hätte träumen lassen, konnte Wariinga noch immer nicht begreifen, wie sie es geschafft hatte, die River Road entlang zu gehen, die Ronald Ngala Street zu überqueren, um sich dann schließlich an der Racecourse Road wiederzufinden, an der Bushaltestelle Kaka Hotel, zwischen der Kirche St. Peter's Ciavers und dem Nähmaschinengeschäft.
    Ein städtischer Bus raste auf sie zu. Wariinga schloß die Augen. Ein Schaudern erfaßte ihren Körper, sie schluckte an einem Kloßim Hals, und ihr Herz begann zu klopfen, als gäbe ein Gebet ihm den Rhythmus ein: In Zeiten der Bedrängnis, allmächtiger Vater, wende deinen Blick nicht von mir; verbirg dein Angesicht nicht vor meinen Tränen … Nimm mich auf … jetzt …
    Plötzlich vernahm Wariinga eine Stimme: Warum versuchst du wieder einmal, dir das Leben zu nehmen? Wer hat dir gesagt, daß deine Arbeit hier auf Erden abgeschlossen sei, wer, daß deine Zeit zu Ende sei?
    Wariinga öffnete die Augen und blickte schnell um sich. Sie konnte niemand sehen. Und dann lief es ihr kalt über den Rücken bis hinunter in die Zehenspitzen, als ihr klar wurde, was sie soeben beinahe getan hätte.
    Im selben Augenblick wurde ihr schwindlig. Nairobi — Menschen, Gebäude, Bäume, Autos, Straßen — alles begann sich vor ihren Augen zu drehen. Sie wurde taub, jedes Geräusch verstummte, und das ganze Land versank in einem riesigen Schweigen. Ihr wurde schwach in den Knien, alle Kraft verließ ihre Glieder; Wariinga fühlte, daß sie Bewußtsein und Gleichgewicht verlor. Aber im Fallen spürte sie, wie jemand ihren rechten Arm packte und sie stützte.
    »Du wärst beinahe ohnmächtig geworden«, sagte der Mann, der sie hielt. »Komm und setz dich in den Schatten. Geh aus der Sonne.«
    Wariinga war nicht in der Verfassung, dies Angebot abzulehnen oder herauszufinden, wer mit ihr sprach, und ließ sich zu den Stufen des hoteleigenen Heavenly Massage and Hairdressing Salon führen. Die Tür des Schönheitssalons war geschlossen. Wariinga setzte sich auf die zweite Stufe, vergrub den Kopf in den Händen und lehnte sich an die Wand. Plötzlich verließ sie die letzte Kraft, und sie tauchte in die Tiefen des Dunkels. Stille. Dann hörte sie Laute wie von einer Flöte, danach Töne, die ganz anders waren — es schienen Stimmen zu sein, danach ein Lied, das von den Wellen des Windes aus weiter Entfernung herbeigetragen wurde.

    Ich trauere um meinen Körper,
    Um den Körper, den mir Gott, der Allmächtige, gegeben hat.
    Ich frage mich:
    Mit wem werde ich das Grab teilen
    Wenn sie mich in die Erde legen …
    Dann war kein Lied mehr zu hören, und die Stimmen waren nicht mehr unterscheidbar, sie klangen nun wie eine Quelle, die einen blasigen Schaum sinnloser Geräusche hervorbrachte.
    Und nun hatte Wariinga denselben Alptraum, der sie früher so oft heimgesucht hatte, als sie noch Schülerin der Nakuru Day Secondary war und die Gottesdienste in der Kirche zum Heiligen Rosenkranz besuchte.
    Zuerst sah sie, wie die Finsternis an einer Stelle aufbrach und ein in der Luft hängendes Kreuz preisgab. Dann bemerkte sie in dem hellen Licht viele in Lumpen gekleidete Menschen, die den Teufel auf das Kreuz zutrieben. Der Teufel trug einen Anzug aus Seide und einen Spazierstock in der Hand, der wie ein aufgerollter Regenschirm aussah. Aus dem Kopf wuchsen ihm sieben Hörner — sieben
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