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Der Geheimnistraeger

Der Geheimnistraeger

Titel: Der Geheimnistraeger
Autoren: Thomas Kanger
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Schließlich entschloss sie sich, ein beiges Kostüm, einen blauschwarzen Rock und eine grüne, seidige Bluse zu kaufen. Alles recht streng. Kleider, die gut zu ihrer Arbeit passten.
    Nach dem Shopping setzte sie sich in ein Straßencafé am
Torvet. Sie bestellte einen Cappuccino und ein Smørrebrød . In diesem Augenblick war Doris zufrieden mit ihrem Leben. Sie dachte, dass sie eigentlich nicht viel brauchte. Solange es ihrer Familie nur gut ging. Dass ihr Mann und sie beruflich vorwärtskamen, dass sie sich weiterhin mochten und weiter an dem Zuhause, das sie sich geschaffen hatten, arbeiteten. Dass ihr Sohn fröhlich war und sich geborgen fühlte. Mehr verlangte sie nicht.
    Sie aß ein wenig von ihrem Brot und betrachtete die Leute, die vorbeigingen. Ihr Blick fiel auf einen Mann, der ein Stück weiter weg auf dem Torvet stand. Er hatte kurzgeschnittenes Haar, trug eine Sonnenbrille und hielt einen Stadtplan in der Hand. Er war ein paar Jahre jünger als sie, aber bei ihm war nicht der geringste Ansatz eines Fettpolsters zu erkennen! An der anderen Hand baumelte eine kleine Videokamera an einem Riemen. Der Mann trat ein paar Schritte auf ein weißes Gebäude zu und begann zu filmen.
    Doris verzog den Mund. Es gibt für einen Touristen wirklich hübschere Gebäude als die Polizeiwache, dachte sie und aß noch ein Stück von ihrem belegten Brot.
     
    Zwei Jahre und drei Monate vorher verabschiedete sich eine Frau in einer Stadt, die ihre Bewohner die königliche Hauptstadt nannten, von ihrem Kind. Die Mutter hieß Janina, ihre Tochter Julia. Sie war erst ein Jahr alt.
    Janina fuhr zu ihrer Arbeit in einer Forex-Wechselstube in der Nähe vom Hauptbahnhof. Sie fand, dass sich ihr Leben angesichts der Voraussetzungen in eine ganz annehmbare Richtung entwickelt hatte. Im Jahr 1992 waren ihre Eltern mit ihr aus Prijedor in Bosnien geflüchtet. Einen schlimmeren Ort hatte es damals auf Erden nicht gegeben, und ihr Vater pflegte zu sagen, dass sie im letzten Moment davongekommen waren. Janina war damals bereits im Teenageralter gewesen, und sie hatte
schnell eine vollkommen neue Sprache lernen müssen, um dann bei großen und kleinen Dingen die Dolmetscherin ihrer Eltern zu werden. Aber jetzt hatte sie sich ein eigenes Leben geschaffen. Janina sah zuversichtlich in die Zukunft.
    Sie ging durch die gepanzerte Tür der Wechselstube und begrüßte Bea, ihre beste Freundin unter den Angestellten. Dann öffneten sie. Sie wechselten allein in ihrer Wechselstube über fünfzig verschiedene Währungen und konnten viele weitere bestellen. Janina hatte den Ehrgeiz, den Wert von so vielen Währungen wie möglich im Kopf zu haben. Sie war gut in Kopfrechnen, und wenn ein Kunde Dollar gegen Schweizer Franken eintauschen wollte, konnte sie rasch den ungefähren Kurs ausrechnen. Von Dollar in schwedische Kronen und von schwedischen Kronen in Schweizer Franken. Am Ende musste man es natürlich gemäß Tageskurs ganz genau berechnen, aber die Kunden waren immer ganz beeindruckt, wenn sie sagte, »das sind etwa 540 Franken«. Das war natürlich Angeberei, aber sie wusste, dass auch ihre Vorgesetzten ihr Talent für Zahlen zu schätzen wussten. Vielleicht würde es ihr ja ermöglichen, innerhalb des Unternehmens aufzusteigen.
    An diesem Vormittag hatten sie recht viele Kunden. Sie arbeitete ruhig und effektiv einen Auftrag nach dem anderen ab. Ihre Kolleginnen und sie gingen nacheinander zum Mittagessen, damit die Wechselstube immer besetzt war. Janina bemerkte nicht, dass Bea aufstand und ging, aber plötzlich hörte sie Lärm von der Sicherheitstür her. Schrie dort nicht Bea?
    Janina drehte sich um. Erst war sie erstaunt, dann packte sie das Entsetzen. Ein Mann mit wildem Blick hatte Bea einen Arm um den Hals gelegt und eine Pistole an die Schläfe gedrückt. Aus einem Reflex heraus drückte Janina den Alarmknopf. Die Anweisungen hatten sich ihr eingebrannt. Der Mann drückte Bea auf einen Stuhl und fuchtelte mit der Pistole in der Luft
herum. Zwei andere Geldwechslerinnen beugten sich vor und versuchten ihre Köpfe mit den Armen zu schützen. Janina kam kurz der Gedanke, dass dies wohl kaum sinnvoll sei. Der Eindringling ging ein paar Schritte auf ihren Stuhl zu und drehte ihn herum, sodass er hinter ihr stand. Er hielt ein Halstuch in der Hand, und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie schon, er wolle sie erwürgen. Aber dann legte er ihr das Halstuch über den Mund und verknotete es ganz fest in ihrem Nacken. Dann machte er es
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