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Der Geheime Orden

Der Geheime Orden

Titel: Der Geheime Orden
Autoren: Ian Smith
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irgendwie ein Genie. Und ungeachtet der politischen Neigungen, von den linken Spontis bis zu den beinharten Konservativen, werden alle insgeheim dazu erzogen, die Welt zu erobern. Viele Studenten kamen aus schwerreichen Familien, was meinen Mitbewohner Percival L. Hollingsworth III. zum Prototypen eines echten Ivy Leagers machte.
    Im Laufe der ersten Woche, die ich mit Percy zusammenwohnte, wurde ich von unseren Mitstudenten schnell davon in Kenntnis gesetzt, dass der Hollingsworth-Clan zum Washingtoner Geldadel gehörte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Percys Urgroßvater, selbst ein stolzer Harvard-Mann, mit Textilfabriken in den Südstaaten ein Vermögen verdient, das die Staatshaushalte der meisten Entwicklungsländer wie Peanuts erscheinen ließ. Wie so oft bei altem Geld, hatten die früheren Generationen riesige Vermögen angehäuft und klug investiert, womit sie ihren Erben ein Leben ermöglichten, dessen Luxus jenseits der Vorstellungskraft normaler Sterblicher lag.
    Percys Großvater saß fünfmal als Senator für Virginia im Kongress, und sein ältester Sohn, Percys Vater, war Arbeitsminister unter dem älteren George Bush. Sie waren einflussreiche, standhafte Republikaner, die ihr halbes Leben damit verbrachten, Geld für ihre politischen Ziele einzuwerben, und die andere Hälfte damit, ihr Vermögen durch den Bau eines weiteren Herrenhauses zu schmälern. Percy war in Greenwich, Connecticut, aufgewachsen, hatte aber den größten Teil seiner behüteten Jugend im privaten Internat von Andover verbracht. Trotz allem Geld, aller Abstammung und aller Privilegien war Percy eine totale Katastrophe. Er maß einen Meter siebzig und wog 64 Kilo mit nassen Klamotten und den Taschen voller Steine. Er hatte mit vorzeitigem Haarausfall zu kämpfen, weshalb er sich seine verbleibenden standhaften Locken nach hinten kämmte, um die am schlimmsten ausgedünnten Regionen zu überdecken. Am kleinen Finger trug er einen goldenen Siegelring, den er zu seinem sechzehnten Geburtstag bekommen hatte. »Eine weit zurückreichende Tradition bei den Hollingsworths«, hatte er mir eines Abends beim Essen erklärt. Ich habe ihn nie ohne diesen verdammten Ring gesehen, ob er nun in seinem Morgenmantel mit Monogramm auf dem Weg ins Badezimmer war oder ob er abends in seinen Seidenpyjamas ins Bett ging. Mal ehrlich, wie viele Studenten besitzen überhaupt einen Morgenmantel mit Monogramm, und wer bringt ihn noch dazu mit auf den Campus? Das sollte Ihnen eine Vorstellung davon geben, mit wem ich es zu tun hatte. Wenn Percy unter Stress stand, drehte er diesen Ring so schnell um den kleinen Finger, dass mir schwindelig wurde.
    Als Kind des Chicagoer Südens war ich noch niemals mit altem Geld in Berührung gekommen, bevor ich nach Harvard kam und den Percy Hollingsworths dieser Welt begegnete. Sie sprachen mit einem abgeschliffenen Neuengland-Akzent, wobei sie kaum die Lippen bewegten, als hätte jemand ihre Kiefer festgeschraubt. Ich habe einmal den Fehler begangen, Percy zu einem Abendessen mit ein paar seiner »Kumpels« aus der Privatschule zu begleiten, die genau wie er aus sagenhaft reichen und seit Generationen in Harvard ausgebildeten Familien stammten. Ich hatte meinen Salat noch nicht aufgegessen, als mir allein vom Zuhören schon der Kopf zu platzen drohte, so pressten sie ihre Worte durch die geschlossenen Lippen und nuschelten sich von einem Satz zum nächsten, bevor sie irgendwann einmal Luft holen mussten.
    Das Traurige an Percy war, dass er trotz seines Reichtums und seines Stammbaums einsam, verunsichert und stets nur eine Prüfung vom nächsten Nervenzusammenbruch entfernt war. Wenn ihm die Arbeit über den Kopf wuchs, was jeden Abend der Fall zu sein schien, produzierte er diesen irren, überdrehten Laut, der – ich schwöre – einmal sogar den Spiegel in seinem Kleiderschrank zum Bersten brachte. Als ich diese seltsamen Geräusche zum ersten Mal hörte, dachte ich, er habe ein Mädchen in sein Zimmer geschmuggelt, dem er ungehemmte Lust bereitete. Doch als ich mich vors Schlüsselloch kniete und hindurchschaute, sah ich ihn mit derangierten blonden Haarsträhnen an seinem Schreibtisch sitzen, den Kopf fest auf die Hände gestützt. Überall in seinem Zimmer lagen Papiere herum, als wäre plötzlich ein Wirbelsturm hineingefahren und durchs offene Fenster wieder entflohen. In jener Nacht erfuhr ich noch etwas anderes über Percy, das ich nie geahnt hätte: Er praktizierte eine Art Meditation. Ich beobachtete,
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