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Der Geheime Orden

Der Geheime Orden

Titel: Der Geheime Orden
Autoren: Ian Smith
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wie er eine kleine Flasche aus der Schreibtischschublade holte und drei Pillen einwarf, die er nicht einmal mit einem Schluck Wasser herunterspülte: ein sicheres Anzeichen für einen gewohnheitsmäßigen Tablettenschlucker. Ich fragte ihn nie nach seiner Krankheit oder der Art seiner Medizin, bin mir aber sicher, dass es etwas mit einer Phobie zu tun hatte. Ein paar Minuten, nachdem er diese kleinen gelben Pillen geschluckt hatte, war er wie betäubt.
    Um nicht ungerecht zu sein: Harvard war für uns alle eine Herausforderung, aber der Druck, der auf Blaublütigen wie Percy lastete, war anderer Natur als der, dem ich oder die anderen Jungs aus der Arbeiterschicht ausgesetzt waren. Typen wie Percy kämpften ständig darum, aus dem sprichwörtlichen Schatten zu treten; sie wurden unaufhörlich mit älteren, erfolgreichen Verwandten verglichen, die ebenfalls Harvard besucht hatten, oder mit jüngeren Zeitgenossen, die zum selben Wohltätigkeitsball- und Internatszirkus gehörten. Der Druck war zermürbend, besonders, wenn ihre Eltern sich an langen Sommerabenden auf den geräumigen Veranden ihrer riesigen Villen in Newport versammelten und damit prahlten, was ihre Erben im vergangenen Jahr an der Universität geleistet hatten und welch großartige Zukunft auf sie wartete. Wenn man wie ich in einer Gegend aufgewachsen war, wo man von Schüssen in den Schlaf gewiegt wurde, hat man mit einer ganz anderen Art von Druck zu kämpfen. Ich machte mir keine Gedanken über Monogramme und die Auswahl des richtigen Anzugstoffs, sondern war stets bemüht, neutrale Farben zu tragen, um nicht ins Kreuzfeuer sich bekriegender Straßengangs zu geraten. Meine Großeltern und die Großeltern meiner Großeltern hatten nie eine Universität besucht, und meine Mutter kannte keine anderen Mütter, die einen Sohn in Harvard oder irgendeiner anderen privaten Hochschule hatten. Ich war also nicht zum Erfolg verdammt, damit meine Eltern auf Golfparcours und Sandstränden mit meinen Leistungen hausieren gehen konnten, sondern damit ich überlebte und meine Mutter eines Tages in ein Wohngebiet übersiedeln konnte, in dem zehnjährige Kinder H2-Bleistifte und keine Rasiermesser in den Ranzen herumtrugen.
    Das einzig Gute daran, in einer Gegend aufzuwachsen, wo man ständig die Augen offen halten musste, war die Tatsache, dass mich fast nichts mehr einzuschüchtern vermochte – und eingeschüchtert zu werden konnte einem in Harvard ziemlich schnell passieren. Man musste nur an all die US-Präsidenten denken, an die Obersten Richter, die Top-Manager und Nobelpreisträger, die einst in denselben Hörsälen gesessen und in denselben Räumen geschlafen hatten – schon sah man sich selbst, wie man einen geölten Zwei-Tonnen-Fels einen Berg hinaufzurollen versucht. Der kleinste Fehler, und schon konnte einen das riesige Gewicht zermalmen, das auf den Schultern drückte. Der Campus und seine alten Fassaden atmeten dreihundert Jahre einer reichen und stolzen Geschichte. Familien wie die Rockefellers, Vanderbilts und Astors hatten viele der Traditionen begründet, denen wir noch immer folgten, etwa, wenn wir die ehrwürdige Anderson-Brücke überquerten, um einer neuen Ausgabe jener legendären Football-Begegnung zwischen Harvard und Yale beizuwohnen, die schlicht Das Spiel genannt wurde.
    Das ist ein weiterer Punkt, den ich erläutern muss. Harvard liebt, es, Spitznamen und Abkürzungen zu verwenden, die allein von Harvard-Leuten verstanden werden. Sie neigen zum Schwulst, indem sie die alltäglichsten Dinge mit den hochgestochensten Bezeichnungen belegen. Als Beispiel mag das Unterkunftswesen dienen. Ich werde nie meinen ersten Besuch in Cambridge vergessen, als diese verbiesterte Fremdenführerin, die uns über den Yard führte, eine Frage zur Wohnkultur auf dem Campus beantwortete. In ihren Worten: »Harvardstudenten leben nicht in Wohnheimen. Sie residieren in Häusern und Hallen. Wenn Sie eines Tages hier studieren wollen, sollten Sie diese Unterscheidung unbedingt beherzigen.«
    Die Unterbringungspolitik in Harvard schrieb vor, dass alle Studienanfänger ihr erstes Jahr in einer dieser Hallen auf dem Yard verbringen mussten. Wir hatten keinen Einfluss auf die Entscheidung. Im Spätsommer wurde uns eine Wohnstätte schriftlich zugewiesen, mitsamt der Adresse und einer kurzen Geschichte unserer Halle. Uns wurde nicht mitgeteilt, wie viele Mitbewohner wir bekämen, und schon gar nicht ihre Namen. Sämtliche Details waren vom allwissenden Büro des
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