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Der Geheime Orden

Der Geheime Orden

Titel: Der Geheime Orden
Autoren: Ian Smith
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Fahrrad hatte einen Platten, den ich zurzeit aus Mangel an Geld nicht beheben konnte. Also stopfte ich die Einladung rasch in meinen Rucksack und stürmte in den Speisesaal, um mir ein paar alte Bagels zu schnappen und mir ein bisschen von dem verwässerten Orangensaft abzuzapfen, den ich jeden Morgen regelwidrig in meiner Wasserflasche ins Vorlesungsgebäude schmuggelte.
    Dieser Augenblick ist wahrscheinlich genauso gut wie jeder andere, um Sie über ein paar wichtige Details zu informieren. Ich bin weder reich, noch hatte ich meinen Studienplatz in Harvard geerbt, das heißt, niemand aus meiner Familie hat jemals in Harvard studiert (oder einer anderen der alten Eliteuniversitäten). Ganz im Gegenteil, ich hatte noch nie vom BigH gehört, bis uns in meinem vorletzten Jahr an der Highschool ein langer Brief erreichte, in dem ich eingeladen wurde, mich in Harvard als Stipendiat zu bewerben, da ich in den nationalen Eignungstests so gut abgeschnitten hätte. Meine Mutter nahm den Brief natürlich mit an ihren Arbeitsplatz und zeigte ihn stolz ihren Freundinnen, als hätte der Präsident mir den Freiheitsorden verliehen. Meine eigene Reaktion sah vollkommen anders aus, als ich mir die Hochglanzbroschüre durchlas, die Harvard mir zusammen mit der Einladung geschickt hatte: Ich empfand tiefsten Widerwillen.
    Wenn man als armes Kind im Süden Chicagos aufwächst, lernt man nichts über Harvard und seine illustre Geschichte. Ich war bloß ein magerer, x-beiniger Junge mit einer hart schuftenden Mutter und der Illusion, eines Tages Basketballprofi werden zu können. Als ich mir die Harvard-Broschüre durchsah, stieß es mir deshalb sofort sauer auf, dass alles so verdammt perfekt aussah, von den blitzsauberen Backsteinbauten mit den imponierenden Namen bis zum strahlenden Lächeln der Studenten, die auf den riesigen, manikürten Rasenflächen lagen. Durch einen erstaunlich glücklichen Zufall hatten sie die Bücher, die sie lasen, so in die Kamera gehalten, dass man die Namen der Autoren lesen konnte: Dostojewski und Hemingway. Es war alles so scheußlich verlogen. Sein wir doch mal ehrlich: Wer liest schon einen Ziegelstein wie Schuld und Sühne mit einem Lächeln auf den Lippen? In meinem Leistungskurs auf der Highschool haben wir nicht nur Dostojewski, sondern auch Steinbeck und Faulkner gelesen, und Sie können mir glauben, wenn ich Ihnen versichere, dass keiner meiner Mitschüler lächelnd in der Bibliothek oder im Grant’s Park saß, als hätte er mit seinem letzten Dollar gerade das große Los gezogen.
    Überflüssig zu sagen, dass im Hause Collins nach Eintreffen des Briefs aus Harvard sechs Monate lang ein ununterbrochener Willenskampf tobte. Meine Mutter schleppte jedes Buch, das sie kaufen oder ausleihen konnte, mit nach Hause und versuchte mich zu überzeugen, dass nur ein Idiot eine Chance wie diese ungenutzt ließe. Sie schnitt Zeitungsartikel aus, kopierte Universitätsrankings aus dem US News & World Report und griff zum ultimativen Druckmittel, indem sie unseren Pastor zum Abendessen einlud. Ich musste Leber mit Zwiebeln essen, was ich schon immer gehasst hatte, während die beiden über Harvard und die Segnungen des Herrn schwadronierten, als wären sie zwei Seiten derselben Medaille. Überflüssig zu sagen, dass ich den Kampf verlor. Ich schickte meine Bewerbung nach Harvard, liebäugelte allerdings mit Georgetown. Die Hoyas waren ein wesentlich besseres Basketballteam, und wer konnte schon der Versuchung widerstehen, in der Hauptstadt zu wohnen, nur wenige Minuten vom mächtigsten Mann der Welt entfernt? Nun, damals war ich noch Idealist.
    Dann begann der zweite Kampf – und raten Sie mal, wer dieses Mal den Sieg davontrug. Ich wurde sowohl in Georgetown als auch in Harvard angenommen, und da meine Mutter »keinen Trottel großgezogen« hatte, wie sie mir immer wieder versicherte, wurden mir die Maße für mein erstes Jackett abgenommen, ehe ich mich versah, und ich bimste den Text zu Harvards Schlachtlied Fair Harvard. Das Jackett kostete meine Mutter zwei Wochenlöhne, doch sie verzog keine Miene. Ihr Sohn war bald ein Harvard-Mann, alles andere zählte nicht. Meine Vision, dass ich bald das Blau und Grau der Georgetown Hoyas tragen würde, war im Nu verblasst.
    Wer von Ihnen den »Mittelpunkt der Welt«, den der Campus in Cambridge für viele Harvardianer darstellt, noch nie besucht hat, dem kann ich versichern, dass der Campus in vieler Hinsicht seinem legendären Ruf gerecht wird. Jeder ist
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