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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief
Autoren: M Ernestam
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Hinterzimmer. Als sie zurückkam, brachte sie einen anderen Stapel Fotografien mit. Vorsichtig nahm sie die Bilder vom Tisch. Dann verteilte sie die anderen.
    Das musste ein Witz sein. Die Fotos waren so schlicht, dass sie von jemandem stammen könnten, der soeben seine erste Kamera bekommen hatte. Sie stellten lachende und weinende Menschen dar, Erwachsene und Kinder, manchmal verschwommen, manchmal angeschnitten, in planlos eingefangenen Augenblicken. Fragmente von Taufen, Schulabschlüssen. Hochzeiten und Beerdigungen. Ein Baby, das in die Arme einer alten Frau gelegt wurde. Ein Mann, der auf einem Grab eine Kerze anzündete.
    »Was sagst du?« Izabella klang ehrlich interessiert.
    Nicht kritisieren, als Rache für die Enttäuschung.
    »Die sind gut. Richtig gut. Und ich will nicht neidisch klingen, wenn ich sage, sie hätten noch besser werden können, wenn man sich damit mehr Zeit gelassen hätte. Für die Belichtung, zum Beispiel. Aber die Motive sind spannend. Schulabschlüsse und Hochzeiten bedeuten wirklich Veränderungen. Wer immer diese Fotos gemacht hat, ist tüchtig und originell. «
    Izabella schloss die Hand um den Stein, der um ihren Hals hing.
    »Der diese Fotos gemacht hat, ist nicht halb so tüchtig wie du. Du bist phantastisch gut, wie ich gesagt habe, und ich bezweifle keinen Moment, dass du eines Tages als eine der besten Fotografinnen Schwedens gelten wirst. Aber manchmal kann Perfektionismus ein wenig langweilig sein. Hast du dir das schon mal überlegt? Das Vollkommene ist fast immer vollkommen,
eben weil es nicht perfekt ist. Diese Bilder hier stellen nicht den Anspruch, die einzige Wahrheit zu enthalten. Sie fangen einfach ein Gefühl ein. Der Fotograf ist erst vierundzwanzig Jahre alt. Er hat nicht einmal daran gedacht, dass seine Werke auf der Einladung erwähnt werden könnten oder wo dieses oder jenes Bild hängen sollte. Aber er hat sicher ebenso lange an diesen Bildern gearbeitet wie du an deinen. Ich würde niemals eine ganze Ausstellung nur mit seinen Bildern bestücken können. Aber ich will sie haben.«
    Izabella trug elegante Schuhe mit orangen Riemen. Inga betrachtete das komplizierte Handwerk, um ihrer Röte Zeit zum Verschwinden zu geben. Trotz ihrer Enttäuschung freute sie sich ehrlich darüber, dass gerade diese Schuhe Izabellas Füße schmückten. Izabella war eine gütige und kluge Frau. Ihre Aufrichtigkeit konnte nichts daran ändern. Aber jetzt sehnte Inga sich nach Mårten. Nach diesem Gespräch würde sie ihn sofort anrufen.
    »Ich will auch deine Fotos dabeihaben.« Bei Izabella hörte sich das ganz selbstverständlich an. »Viele meiner Besucher würden nicht herkommen, wenn sie nicht wüssten, dass auch du hier ausstellst. Ich bekomme noch immer Anfragen nach deinen Bootsbildern. Den alten Bootsskeletten, wie du sie genannt hast. Davon hättest du unbegrenzte Mengen verkaufen können.«
    Die Bootsskelette. Das war einige Jahre her. Sie war nach einer hektischen Periode voller Arbeit unten auf Marstrand gewesen. Eines Morgens wurde ihr angeboten, mit einigen Nachbarn aufs Meer hinauszufahren. Sie hatte sofort dankend angenommen, froh darüber, zu den abgelegenen kleinen Inseln zu gelangen, wo man ab und zu Wrackreste fand.
    Sie griff nach ihrer zwanzig Jahre alten Canon, die sie nur wenige Monate vor ihrer ersten Begegnung mit Mårten gekauft
hatte. Sie konnten noch immer darüber Witze machen, dass sie sich deshalb ineinander verliebt, geheiratet und ein Kind bekommen hatten. Mårten war damals ebenfalls stolzer Besitzer einer Canon gewesen. Nur hatte er ein Teleobjektiv von 350 Millimetern gekauft, das sie beide nicht hatten benutzen können, da sie sich nicht für das Verhalten von Vögeln interessierten. Sie hatte sich für einen 18-Millimeter-Weitwinkel entschieden, der eine Schlossfassade oder einen breiten Boulevard einfangen konnte. Zwei extreme Objektive, die sie gemeinsam durch 35- und 150-Millimeter-Objektive ergänzten, die weit mehr Anwendungsmöglichkeiten boten. So ein Zusammentreffen muss etwas bedeuten, hatten sie sich damals gesagt.
    Sie nahm die Kamera und das 35-Millimeter-Objektiv, ging zum Anleger und wurde von einem viel benutzten Holzboot aufgelesen. Das Meer war still und das Licht einzigartig. Es wäre eine berufliche Sünde gewesen, wenn sie nicht versucht hätte, das einzufangen.
    Draußen bei der Schäre legten die Nachbarn ihre Fischernetze aus. Inga selbst wurde auf einer der Inseln an Land gesetzt, wanderte am Wasser entlang, fand
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