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Der geheime Auftrag des Jona von Judaea

Titel: Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
Autoren: Rainer M. Schroeder
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verstoßen haben, dann doch wieder bei sich aufnehmen. Vorausgesetzt die Verstoßenen haben sich durch ein extrem entbehrungsreiches Leben in der Wüste selber hart bestraft und dabei sogar den Tod durch Verdursten und Verhungern in Kauf genommen. Denn bis zur Todesgrenze erlittene Qual gilt gemeinhin als ausreichende Sühne für schwere Verfehlungen. Und mein Vater und ich waren in der Tat dem Tod sehr nahe. Aber wieder aufgenommen haben sie uns dennoch nicht. Wir blieben für sie ›Söhne der Finsternis‹.«
    Jona schüttelte mit einer Miene des Abscheus den Kopf. »Und diese Männer von Qumran bezeichnen sich als fromm und von Gott auserwählt? Krank müssen sie sein, wenn sie sich für derart begnadet halten und doch so ohne jedes Mitleid sind und gnadenlos über andere richten!… Aber sag, wer hat euch dann gerettet?«
    »Barmherzige Heiden, die Leute einer durchziehenden Karawane aus Damaskus. Sie haben uns in der Wüste aufgelesen, wieder auf die Beine gebracht und uns hinunter ans Südende des Toten Meers mitgenommen. Als wir wieder bei Kräften waren, sind wir nach Westen gezogen und schließlich haben wir uns im Guvrin-Tal niedergelassen. Dort hat mein Vater ein Stück Land gepachtet. Er hat sich redlich abgemüht und sich kaum Ruhe gegönnt, aber es gab immer wieder bittere Rückschläge. Es kam schließlich, wie es kommen musste. Er machte immer mehr Schulden, wie dein Vater, und so wurden wir dann vor vier Jahren Schuldsklaven bei Berechja. Keine zehn Monate später trug ich ihn zu Grabe.«
    »Und woran ist er gestorben?«, fragte Jona mitfühlend.
    Timon zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht mit Gewissheit. Er ist eines Morgens einfach nicht mehr aufgestanden. Keiner wusste, was er hatte, denn er sprach von Stund an kein Wort mehr. Auch weigerte er sich, zu essen und zu trinken. Und am Ende der Woche war er tot.« Und ganz leise fügte er dann noch hinzu: »Ich glaube, innerlich war er schon lange vorher gestorben.«
    Jona verstand nur zu gut, was er meinte.
    »Vielleicht schon, als meine Mutter starb, spätestens jedoch, als wir von den Essenern verstoßen wurden und nach Wochen der Quälerei keine Gnade vor ihren Augen fanden, obwohl wir uns doch selbst so hart bestraft hatten und schon halbtot waren«, fuhr Timon nachdenklich fort. »Denn ich glaube, im Grunde seines Herzens wäre er gern dort geblieben. Er hat sich eigentlich sehr bereitwillig in ihr starres Regelwerk pressen lassen. Irgendwie gab es ihm Halt in seinem Schmerz und seiner Verzweiflung. Es war ihm ganz recht, dass ihm eigene Entscheidungen damit abgenommen waren... Er wollte so sehr daran glauben, zu den ›Söhnen des Lichts‹ und damit zu denjenigen zu zählen, die eines Tages vor Gottes Angesicht Gnade finden. Vielleicht hat er wirklich geglaubt, mit dem Ausstoß aus der Gemeinschaft auch sein Seelenheil verwirkt zu haben. Ich weiß es nicht, denn er hat nie mit mir darüber gesprochen.« Er atmete tief durch. »So, jetzt weißt du, welche Wege mich hierhin verschlagen haben!«
    Auch Jona musste tief durchatmen und stieß die Luft hörbar aus. »Himmel, was für eine Geschichte!«
    Timon machte eine unwillige Handbewegung, als bereute er plötzlich, so offen über sein Leben geredet zu haben. »Eine Geschichte, die ein noch viel schlimmeres Ende finden wird, wenn wir uns nicht zur Flucht entschließen - und zwar zur Flucht noch in dieser Nacht!«
    Und damit waren sie wieder bei den drängenden Gefahren und Ängsten der Gegenwart angekommen.
    »Du hast ja Recht, dass wir keine andere Wahl als die Flucht haben«, räumte Jona ein. »Aber warum muss es denn schon heute Nacht sein? Wir haben eine lange Reise bis hoch nach Tyrus vor uns und da werden sich bestimmt noch günstigere Gelegenheiten bieten.«
    »Da irrst du dich aber gewaltig!«, widersprach Timon ihm sofort. »Morgen sollen wir uns einer Karawane anschließen. Und Berechja ist kein Dummkopf. Er wird dafür sorgen, dass ihm aus seiner Herde kein Schäfchen entkommt! Ich gehe jede Wette ein, dass wir ab morgen viel aufmerksamer bewacht werden, als es hier in der Karawanserei der Fall ist!«
    Jona runzelte die Stirn. »Wie soll denn das gehen? Wir sind hier doch wie in einem Gefängnis eingeschlossen. Sieh dich doch nur um! Es gibt bloß einen Ausgang aus der Karawanserei und der führt durch das mit schweren Balken verschlossene und gut bewachte Tor. Zudem hat Berechja hier oben Michaja als Aufpasser an der Treppe postiert. Es wird uns also nicht gelingen, noch ein
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