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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Autoren: Jonathan Lethem
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womöglich Angst, von irgendwem in den Büschen um sie her gehört zu werden?
    »Ich habe keinen Anstand im Leib, wenn ich mir das überhaupt anhöre.«
    »Komm schon, Rose.«
    »Ist doch wahr, wir leben in einer Welt ohne Anstand, und wir sind ein Teil davon, du und ich und diese Idealisten in meiner Küche.« Sie drängte in seine Umarmung, verabscheute sie beide und wollte, dass er ihren Abscheu spürte, wollte ihm aber auch beweisen, wie leicht es immer noch war, ihm ihre Brüste in die Handflächen zu drücken. Eaglin ließ es sich nicht nehmen, ihre Titten zu bearbeiten, bevor er die Hände in die Jackentaschen schob. Vielleicht entsprach das seiner Definition von Verfahren.
    Allerdings hatte sie sich selbst ausgetrickst und wollte jetzt mehr, als ihr bewusst war. Sie packte Sols Handgelenke und schob sich seine kalten Handflächen energisch unter die Bluse, damit er erneut entdeckte,wie sie den ganzen Umfang ihres Büstenhalters sprengte. Auch Roses wendiger Zynismus sprengte sie fast, drohte endgültig verlorenzugehen wie Quecksilber aus einer zerbrochenen Phiole. Sol Eaglin kannte sie besser als jeder andere Mann auf Erden. Besser als ihr schwarzer Lieutenant, auch wenn sie das Sol gegenüber nie im Leben zugegeben hätte. Sol und sie hatten fast zehn Jahre lang dieselben Verrenkungen erlitten: die der Partei und die des anderen. Wenn sie ihn doch bloß dem gehorsamen Ungehorsam seiner Ehe hätte entwinden können, dieser Ehe mit einer lammfrommen Frau, die ohne ein Wort der Klage seinen Anspruch auf Freie Liebe erduldete, dann hätte Rose Sol glücklich an die Leine genommen. Sie hätten sich als ein Großes Rotes Paar aufbauen können, das sich die Gardens hier unterwarf – aber solche Phantasien stanken ja geradezu nach Konformismus! Wie bürgerlich war doch so ein Streben nach sozialem Aufstieg in der KP!
    Sie musste Sols klammernder Frau also ebenso dankbar sein wie den Instinkten ihres Körpers, die sie andernorts hatten suchen lassen. Rose hatte Sols Zerstörungskraft hinter sich gelassen, war größer, als er vermutete, so wie der Kommunismus größer war als die Partei und daher von den Opfern und Selbstzerstörungen der Partei nicht verwundet werden konnte. Indem sie nach ihrem unmöglichen Polizisten gegriffen hatte, ihrem Eisenhower liebenden Riesen, hatte Rose einen Radikalismus praktiziert und eine Freiere Liebe, als Sol Eaglin sie je kennen konnte. Die Kritik steckte schon in der Geste. Sie war aber nicht in Versuchung, ihm das alles in den Marxismus zu übersetzen, nicht zu diesem späten Zeitpunkt. Zu guter Letzt war Rose des Kommunismus ein bisschen überdrüssig. Und doch war der Kommunismus – allen Verheerungen zum Trotz die Bewahrung der ersten und überwältigenden Einsichten, die die Welt gespalten und wieder geheilt und Rose damit ihre Berufung und ihr Ziel offenbart hatten – die einzige Leistung ihres Lebens, abgesehen von der Bilanzerstellung für eine Pickles-Fabrik. Es war also kein Zufall, dass er auch die einzige Aussicht für die Menschheit war.
    »Mir ist kalt«, sagte sie. »Gehen wir rein.«
    »Du lügst.« Jetzt hatte sie Sol angeheizt, und er wurde scharf, sie kannte die Zeichen. »Dir ist nicht kalt, du bist heiß wie eine Ofenkartoffel.«
    »Ich widerspreche nicht, die ganze Welt beruht auf solchen Widersprüchen. Möglicherweise friere, schwitze und lüge ich gleichzeitig. Aber ich bin nicht so verlogen wie du, Sol.«

Hallo, Jungen und Mädchen. Hier ist Burl Ives, und ich möchte ein paar Lieder für euch singen. Das erste dreht sich um eine graue Gans, eine ganz seltsame Gans. In dem Jahr, in dem Miriams Vater verschwand, bekam sie ein Album geschenkt. Last Sunday morning, Lord, Lord, Lord / Oh my daddy went a hunting, Lord, Lord, Lord. Miriam durfte den Plattenspieler ihrer Eltern nicht bedienen, der in einen langen Palisanderschrank eingebaut war, in dem sich auch ein Radio befand – das phantastischste Möbelstück in ihrer aller Leben, das auf Raten bei Brown’s Appliance an der Greenpoint Avenue erstanden worden war und zum Standardrepertoire der Streitpunkte gehörte, wenn ihr Vater einen seiner barocken und vertrackten Koller bekam und Reden zum Thema »Sklaverei des Kommerzes« schwang. And along came the grey goose, Lord, Lord, Lord. Miriam musste jedes Mal darum bitten, den Burl Ives hören zu dürfen. Rose behandelte das, was sie ausschließlich »ein Album« nannte, so, wie Miriam es von den jüdischen Ritualen kannte, die Rose so verabscheute:
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