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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Autoren: Jonathan Lethem
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hatten gründen wollen, gegen die Skepsis zweier Armeen, die aus zwei verschiedenen Sorten jüdischer Onkel, Tanten, Vettern und Kusinen bestanden. Hätte es den Ehebund bestärkt, wenn sie früher gekommen wäre? Wurde Albert entwurzelt, weil zu Hause ein Kind fehlte?
    Nein. Auf ihre morbide Weise konnte Rose die kafkaeske Strafe des ersten Prozesses nur bewundern, denn sie wusste, dass die Partei ihrer Ehe bloß den Gnadenschuss gegeben hatte. Ihre Ehe war gescheitert. Auf Riffs der Persönlichkeit gelaufen, der Gegensätze und der mangelnden Unterstützung zweier entfremdeter Familien, außerdem auf das Riff von Alberts Eitelkeit, seiner Nutzlosigkeit bei allem, was nicht das unerreichbare Fernziel der Revolution anging. Normale Arbeit war ihm zu hoch oder unter seiner Würde: Selbst wenn er Flugblätter verteilen sollte, fand man sie in eine Anzugtasche gestopft, weil die Kampagne, sie beim werktätigen Proletariat zu verteilen, im dialektischen Flirt beim Bier mit einer Pamphletistenkollegin, der er zufällig über den Weg gelaufen war, versickert war. Und was nach dem Eintreffen des Mädchens die Pflichten der Vaterschaft betraf, da konnte man ihn getrost vergessen. Rose war eine alleinerziehende Mutter, bevor sie zur alleinerziehenden Mutter gemacht wurde.
    Wirklich stolz war Rose auf etwas, das sie nie laut sagte, nicht zu Sol Eaglin, nicht zu ihrem schönen Polizisten, nicht einmal zu Miriam, der Tochter, die zum Speicher von Roses ganzem Selbst wurde, zu ihrer Versicherung gegen das Vergessenwerden. Dabei war es das Gütesiegel ihres Triumphs: Sie hatte sich vom Morden abgehalten. Beim ersten Prozess leerte und spülte Rose Zimmer dreimal den Lübecker Aschenbecher. Wenn sie die Granitwaffe durch den überfüllten Raum und die verqualmte Luft hin- und hertrug, schwang Rose ihn nicht, um Albert den Schädel einzuschlagen. Auch Almas nicht, der bestimmt so leicht wie eine Eierschale zerbrochen wäre, und die straffgekämmtenund mit Haarnadeln festgesteckten weißen Strähnen wären blutüberströmt gewesen, während sie auf den Teppich gesunken wäre. Rose zog ihn auch keinem der Parteibonzen über den Schädel. Nein, obwohl sie es ihr so leicht gemacht hätten, so prachtvoll, wie sie sich vorbeugten, um Würfelzucker in die Teetassen plumpsen zu lassen, die Köpfe senkten, um brennende Streichhölzer an ihre bemoosten Pfeifenköpfe zu halten, nein, obwohl es so schön gewesen wäre zuzusehen, wie sie in der Angst vor ihr und ihrem Boxhandschuh aus Granit tobten. Sie ging auch nicht zu dem gerade entvaterten Kind, dessen Körperchen Rose noch hätte anheben und durchs Fenster auf den Gehweg vom Broadway hinabwerfen können, was die Cops angezogen hätte, bei denen Rose dann sofort die Zelle von Roten, die ich aufgedeckt habe, denunziert hätte (Ihr Salonrevoluzzer prüft mit Seitenblicken, ob diese Bauernhausfrau eine Reaktion zeigt? Na, die Reaktion könnt ihr haben!), nein, nein, nein, an dem Abend, an dem Rose Zimmer entdeckte, dass sie nicht nur die Fähigkeit, sondern auch die Lust zum Mord hatte, hatte sie sich das köstlichste Aufgebot potentieller Opfer un ermordet durch die Lappen gehen lassen. Keinen einzigen hatte sie umgebracht. Verdreckt hatte sie den Aschenbecher hinausgebracht, und so makellos, wie Lübecks bestbezahlte Haushälterin ihn nur hätte polieren können, hatte sie ihn wieder hineingetragen.
    Das war noch ein Prozess gewesen!
    —
    Jetzt am Abend ihres echten und endgültigen Rausschmisses standen Rose Zimmer und Sol Eaglin auf ihrer Hintertreppe, umfächelt vom kühlen und duftenden Abend, eine unehrliche Flucht aus der unter Druck stehenden, sauerstoffarmen Küche. Das unschuldige Stimmengetuschel, das die Gardens durchwaberte, war nicht unschuldig. Das ganze Viertel war gegen sie. Ein Nebensatz bei Eaglins Anruf hatte erst sacken müssen. Er hatte gesagt, seine Gruppe und er kämen von einer anderen »Besprechung« – dieser dehnbare und unheilschwangereEuphemismus –, die ebenfalls in den Gardens abgehalten würde. Bestimmt war es bei dieser Besprechung um Rose gegangen. Ein Nachbar hatte sie wieder denunziert. Aber welcher? Hah! Die Frage war wohl eher, welcher ihrer Nachbarn sie jetzt nicht denunzierte. Rose spürte die Gewalt dieser toten Utopie, ganz Sunnyside Gardens war vom Ansturm der kommenden Enttäuschung korrumpiert worden und suchte Sündenböcke für die dämlichen Schuldgefühle, das Leben verpfuscht zu haben. Rose sagte sich, dass sie wohl einen guten Talisman
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