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Der Gamma-Stoff

Der Gamma-Stoff

Titel: Der Gamma-Stoff
Autoren: James Gunn
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im mittleren Fach rechts stehen.
    Aber dieses Blut war etwas Besonderes. Es hatte alles, was anderes Blut besaß, und noch etwas mehr. Solches Blut hatte es noch nie gegeben.
    Fünfundzwanzig Dollar? Wieviel ist Leben wert?
    Der alte Mann war siebzig Jahre alt. Sein Körper lag schlaff auf dem harten Krankenbett. In der plötzlichen Stille nach dem Verstummen der Klimaanlage klangen seine unregelmäßigen Atemzüge ungewöhnlich laut. Die einzige Bewegung im Zimmer war das krampfhafte Heben und Senken des Lakens über dem ausgezehrten Körper.
    Er lebte – gerade noch. Er hatte die in der Heiligen Schrift zugebilligten siebzig Jahre hinter sich. Bei ihm ging es nicht einfach um die Tatsache, daß er im Sterben begriffen war – das sind wir alle. Bei ihm stand der Tod vor der Tür.
    Dr. Russel Pearce hielt das knochige Handgelenk in seiner Rechten. Sein Gesicht war ernst, der Blick aus seinen dunklen Augen fest.
    Das Gesicht des alten Mannes war gelblich über bläulichem Grau, der Farbe des Todes. Es war knochig, die faltige Haut eine ledrige Hülle für den Totenschädel. Er mochte einmal gut ausgesehen haben; jetzt waren seine Augen eingesunken, die geschlossenen Lider dunkel verfärbt, die Nase ein schmaler, gebogener Span.
    Das Alter verbindet die Menschen wie die Kindheit sie verbindet. Dazwischen unterscheiden sie sich voneinander, aber im Anfang und am Ende sind sie einander sehr ähnlich.
    Dr. Pearce hatte auf den Stationen alte Männer gesehen, die in den Slums aufgefunden worden waren, schmutzig, Alkoholiker. Das einzige, was seinen Patienten hier davon unterschied, waren ein wenig Gepflegtheit und ein paar Millionen Dollar. Wo das Haar dieses Mannes schneeweiß und frisiert war, hing das der anderen gelbgrau und strähnig in den runzligen Nacken. Wo die Haut dieses Mannes gepflegt und peinlich sauber war, hatten die anderen Schmutz in den Falten, wunde Stellen, Pickel.
    Dr. Pearce legte den Arm sanft auf das Bett zurück und schlug die Decke auf. Dieser alte Mann war einmal groß, stark, vital gewesen. Jetzt war der hagere Körper ausgezehrt; der Brustkorb drängte sich gegen die Haut, zitterte schwach, die alten Adern zeigten sich wulstig, blau an den stelzenartigen Beinen.
    »Pneumonie?« fragte Dr. Easter interessiert. Er war älter als Dr. Pearce, hatte graue Schläfen, wirkte distinguiert und überlegen.
    »Noch nicht. Unterernährung. Man möchte doch meinen, daß er mehr ißt und besser gepflegt wird. Wenn jemand soviel Geld hat …«
    »Das ist nicht gesagt. Man kommandiert eine Million Dollar nicht herum.«
    »Anämie«, fuhr Dr. Pearce fort. »Blutung aus einem Zwölffingerdarmgeschwür, würde ich sagen. Puls schwach und beschleunigt, abgesunkener Blutdruck, Arteriosklerose und alles, was damit zusammenhängt.«
    Neben ihm machte eine Schwester Eintragungen ins Krankenblatt. Ihr Gesicht war glatt und jung; ihre Haut glühte vor Gesundheit.
    »Blutbild«, sagte Dr. Pearce zu ihr. »Harnuntersuchung. Bestellen Sie einen halben Liter Blut.«
    »Eine Transfusion?« fragte Dr. Easter mit hochgezogenen Braunen.
    »Sie wird wenigstens vorübergehend etwas nützen.«
    »Aber er stirbt.« Es war beinahe eine Frage.
    »Sicher. Das tun wir alle«, meinte Dr. Pearce mit grimmigem Lachen. »Unser Beruf ist es, das Sterben so lange hinauszuschieben wie möglich.«
    Ein paar Minuten später, als Dr. Pearce die Tür öffnete und auf den Korridor hinaustrat, besprach sich Dr. Easter mit einem großen, blonden, breitschultrigen Mann, der einen eleganten Anzug trug. Der Mann war ungefähr in Easters Alter, zwischen fünfundvierzig und fünfzig. Das Gesicht machte einen seltsamen Eindruck; es paßte nicht zum Körper. Es wirkte hager und habgierig, die schiefergrauen Augen hatten einen kalten Ausdruck.
    Der Mann hieß Carl Jansen. Er war Privatsekretär des alten Mannes, der im Sterben lag. Dr. Easter stellte die beiden einander vor, und sie gaben sich die Hand. Pearce überlegte sich, daß der Titel ›Privatsekretär‹ eine Vielzahl von Pflichten umfassen konnte.
    »Dr. Pearce, ich möchte Ihnen nur eine Frage stellen«, sagte Jansen kalt. »Muß Mr. Weaver sterben?«
    »Selbstverständlich«, erwiderte Dr. Pearce. »Dem entgeht niemand. Wenn Sie meinen, ob er innerhalb der nächsten Tage sterben wird, würde ich ja sagen – wenn ich mich festlegen muß.«
    »Was fehlt ihm?« fragte Jansen argwöhnisch.
    »Er hat seinen Körper verbraucht. Stellen Sie ihn sich als Maschine vor. Er ist abgenutzt, er fällt
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