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Der Gamma-Stoff

Der Gamma-Stoff

Titel: Der Gamma-Stoff
Autoren: James Gunn
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auf dem Damm.«
    Er schaute auf seine Uhr, hob den Kopf, schaute wieder aufs Zifferblatt. Langsam und verwirrt ließ er den Arm auf das Bett zurücksinken. Er wickelte das breite, flache Band des Blutdruckmessers um den mageren Oberarm, pumpte es auf und lauschte mit dem Stethoskop an der Ellenbeuge. Er schaute zur Meßskala, ließ die Luft davonzischen und horchte einen Augenblick an der Brust des alten Mannes.
    Er setzte sich nachdenklich ans Bett, ohne auf die rührige Krankenschwester zu achten. Weaver erholte sich, gemessen an dem Zustand, in dem er sich befunden hatte, erstaunlich gut. Der Puls war kräftig und gleichmäßig, der Blutdruck gestiegen. Auf irgendeine Weise hatte die Transfusion verborgene Energie – und Widerstandsreserven freigesetzt.
    Weaver wehrte sich.
    Dr. Pearce spürte eine seltsame, nie gekannte Begeisterung in sich.
    Am nächsten Tag fand Dr. Pearce, daß die Augen, die ihn beobachteten, längst nicht mehr so matt wirkten.
    »Fühlen Sie sich wohl?« fragte er. Der alte Mann nickte. Für einen Mann seines Alters war der Puls fast normal.
    Am dritten Tag begann Weaver zu sprechen. Die schwache Stimme des alten Mannes flüsterte unzusammenhängende, bedeutungslose Erinnerungen. Dr. Pearce nickte verstehend und nickte innerlich sich selbst zu. Die Arteriosklerose hatte ihre Spuren hinterlassen: Niereninsuffizienz, Herzklappenfehler, Unterfunktion des Gehirns nach Gehirnblutung.
    Am vierten Tag saß Weaver im Bett und sprach mit brüchiger, aber frischer Stimme auf die Krankenschwester ein.
    »Ja«, sagte er zahnlos, »da hab’ ich sie fertiggemacht, aber restlos. Ich hab’ sie nie leiden können. Sie müssen der Doktor sein«, sagte er plötzlich und wandte sich Dr. Pearce zu. »Sie gefallen mir. Ich werd’ dafür sorgen, daß Sie einen dicken Scheck kriegen. Ich sorg’ für die Leute, die ich mag. Aber ich kümmer’ mich auch um die, die ich nicht leiden kann.« Er kicherte – ein böser, kindischer Laut.
    »Machen Sie sich darüber keine Sorgen«, sagte Dr. Pearce und griff nach Weavers Handgelenk. »Konzentrieren Sie sich aufs Gesundwerden.«
    Der alte Mann nickte glücklich und steckte einen Finger in den Mund, um an seinem Zahnfleisch zu reiben.
    »Sie kriegen Ihr Geld«, murmelte er. »Darauf können Sie sich verlassen.«
    Dr. Pearce starrte auf das Handgelenk hinunter, das er immer noch festhielt.
    »Was ist mit Ihrem Zahnfleisch?«
    »Es juckt«, erwiderte Weaver. »Und wie.«
    Am fünften Tag ging Weaver ohne Hilfe auf die Toilette. Am sechsten Tag duschte er sich. Als Dr. Pearce hereinkam, saß er auf dem Bettrand und ließ die Beine baumeln. Weaver sah hastig auf, als Dr. Pearce eintrat; seine Augen wirkten wach und sie schienen auch nicht mehr so tief zu liegen. Seine Haut hatte eine gesunde Färbung. Wie Handgelenke und Arme war auch sein Gesicht voller geworden. Sogar seine Beine machten einen beinahe muskulösen Eindruck.
    Er verwandelte die wohlabgewogene Krankenhausdiät in Fleisch, Fett und Muskeln.
    Mit seinem schneeweißen Haar wirkte er wie das Idealbild eines Großvaters.
    Am nächsten Tag begann sein Haar zu dunkeln.
    »Wie alt sind Sie, Mr. Weaver?« fragte Pearce scharf.
    »Siebzig«, verkündete Weaver stolz. »Am fünften Juni bin ich siebzig geworden. In Wyoming geboren, mein Junge, in einer Hütte. Damals gab’s dort noch Indianer. Hab’ sie oft gesehen, wenn ich mit meinem Papa unterwegs war. Alles feige Kerle.«
    »Welche Farbe hatte Ihr Haar?«
    »Kohlschwarz. Ich hatte das schwärzeste und glänzendste Haar vom ganzen Bezirk. Die Mädchen wollten immer mit den Fingern durchfahren.« Er kicherte. »Hab’s schon erlaubt. Eine ganze Schar schwarzhaariger Kinder in Washakie County, bevor ich dort wegging.«
    Er steckte den Finger in den Mund und rieb sich das Zahnfleisch.
    »Juckt’s immer noch?« fragte Dr. Pearce.
    »Na und ob.« Er kicherte. »Wissen Sie, was mit mir los ist? Ich bin in der zweiten Kindheit. Das ist es. Ich krieg’ Zähne.«
     
2.
     
    In der zweiten Woche gab Weaver die Beschäftigung mit der Vergangenheit auf und wandte sich seinen Geschäften zu. Man stellte ihm ein Telefon ans Bett, und den halben Tag verbrachte er mit kurzen Gesprächen über Abschlüsse und Manipulationen. Die andere Hälfte war Jansen gewidmet, der jeweils sofort erschien, wenn Weaver ihn rufen ließ – so schnell, daß Dr. Pearce annahm, er habe sich ein Krankenzimmer reservieren lassen.
    Weaver nahm die Zügel seines Imperiums wieder in die
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