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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos
Autoren: Thomas Finn
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Schließlich hatte er nachgegeben in der Furcht, sich ein Leben lang mit Fragen quälen zu müssen, ginge er besagten Rätseln heute nicht auf den Grund.
    Noch einmal atmete er tief durch, dann machte er sich auf die Suche nach der angegebenen Adresse. Sein Weg führte ihn an Modeboutiquen, Kanzleien und antiquarischen Buchhandlungen vorbei. Wo war die Hausnummer 15? Er blieb stehen und suchte die Reihe der Gebäude ab. Plötzlich hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Dann wandte er sich zur anderen Straßenseite um. Doch da war niemand. Seltsam.
    In diesem Augenblick entdeckte er nicht weit entfernt eine Kellerstiege, die eingezwängt zwischen zwei Hauseingängen mit den Nummern 14 und 16 lag. Auf Höhe des Bürgersteigs befand sich ein Uhrladen, in dessen schmalem Schaufenster kleine und große Chronometer ausgestellt waren.
    Das einzig Auffällige an diesem Kellergeschäft war eine große rote Signallampe über der Eingangstür, die davon zeugte, dass der Laden nachts mit einer Alarmanlage gesichert wurde.
    Offenbar war er hier richtig. Tobias gab sich einen Ruck und stieg die Treppe nach unten. Das Bimmeln einer Türglocke war zu hören, als er den Laden betrat, und ihm war, als gelange er in eine andere Welt. Der schlecht beleuchtete Verkaufsraum erinnerte mehr an einen Trödelladen aus dem vorletzten Jahrhundert als an eines der modernen Geschäfte, wie man sie sonst in der Innenstadt fand.
    Ein Geruch von Staub, Holz, Chrom und Werkzeugöl hing in der Luft und mischte sich unter das Ticken, Schnarren und Summen unzähliger Uhrwerke. Tobias’ staunender Blick wanderte über Pendel-, Stand- und Kuckucksuhren, die dicht an dicht die Wände bedeckten. Darunter gab es Gerätschaften, die eher für die Schiff-Fahrt bestimmt schienen. Unmittelbar vor ihm, auf Regalen und in gläsernen Vitrinen, ruhten Schweizer Präzisionsuhren, Nürnberger Eier sowie eine Vielzahl von Taschen- und Armbanduhren. Ein silberner Zeitmesser unter Glas fesselte seine Aufmerksamkeit besonders. Auf dem reich ziselierten Ziffernblatt prangte eine goldene Inschrift: Tempus fugit!
    Die Zeit eilt dahin.
    Er runzelte die Stirn. Ihm schien es eher so, als habe die Zeit an diesem Ort keine Gültigkeit; so als würden die ungezählten Zeiger und Pendel in diesem Raum einen Bann weben, der den hektischen Alltag jenseits der Ladentür ausschloss.
    Tobias räusperte sich und näherte sich dem Tresen mit der Kasse. Er lag gleich neben einem Vorhang, der den Laden von den privaten Räumlichkeiten trennte.
    »Hallo?«
    Plötzlich brach im Laden ein lautes Getöse los. Die Pendeluhren schlugen an, dutzendfach hämmerten Glockenwerke ihre Melodien, das laute Schnarren von Ketten und Zahnrädern erfüllte den Raum, und an mehreren Wanduhren zugleich klappten Fensterchen auf, vor denen bunt bemalte Vögel und Figuren einen mechanischen Tanz aufführten. Von einem Augenblick zum anderen verging der Lärm, und das vertraute Ticken und Summen war wieder zu hören.
    »Punkt vier Uhr. Ich gebe zu, ich hatte früher mit dir gerechnet.«
    Tobias, der noch immer mit offenem Mund die Uhren anstarrte, fuhr bei der leisen Stimme erneut zusammen. Durch den Vorhang war unbemerkt ein alter Mann mit auffallender Hakennase getreten, der eine antike Taschenuhr in den Händen hielt, die er nun zuschnappen ließ. Wie alt mochte er sein? Siebzig? Achtzig? Er trug den Arbeitskittel eines Uhrmachers und stützte sich auf einen knorrigen Gehstock. Sein Haar war schütter, doch über spitzen Wangenknochen, die hell unter der pergamentenen Haut hervortraten, blitzten Augen, die dem Alter spotteten.
    »Dann haben Sie mir dieses seltsame Weihnachtsgeschenk geschickt?« fragte Tobias mit belegter Stimme.
    Der Uhrmacher nickte, und in seine Augen stahl sich ein Ausdruck des Bedauerns. »Es tut mir leid, dass ich mich weiter nicht um dich gekümmert habe.«
    »Was wollen Sie eigentlich von mir?« In Tobias kochte die Wut hoch. »Vielleicht erzählen Sie mir erst mal, wer Sie sind. Und wer ich bin, wenn Sie schon dabei sind. Was ist mit meinen Eltern?«
    »Ruhig, Junge! Verzeih einem törichten alten Mann. Eins nach dem anderen. Du wirst alles erfahren. Aber alles zu seiner Zeit. Komm mit mir nach hinten. Dort erkläre ich es dir.« Der Alte schob den Vorhang beiseite und winkte Tobias einladend zu. Widerwillig folgte ihm dieser.
    Der Uhrmacher führte ihn an zwei Türen vorbei, einen dunklen, schmalen Gang entlang. Treppenstufen an seinem Ende führten zu einem großen
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