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Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Titel: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte
Autoren: Mohsin Hamed
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verstand, die keine Soldatenuniform trugen. Wenn das die einzige, wichtigste Priorität unserer Spezies war, dann, so wurde mir klar, war das Leben derjenigen, die in Ländern lebten, in denen auch solche Killer lebten, ohne Bedeutung, es sei denn als Kollateralschaden. Daher, folgerte ich, fühlte sich Amerika auch berechtigt, so viel Tod nach Afghanistan und in den Irak zu tragen, daher fühlte sich Amerika auch berechtigt, so viele weitere Tote zu riskieren, indem es stillschweigend Indien benutzte, um Druck auf Pakistan auszuüben.
    Unterdessen hatte ich eine Stelle als Lektor an der Universität bekommen, und ich machte es zu meiner Aufgabe, auf dem Campus für eine Loslösung meines Landes von Ihrem zu werben. Ich war bei meinen Studenten beliebt – vielleicht, weil ich jung war, vielleicht auch, weil sie erkannten, welchen praktischen Wert die Kenntnisse eines Ex-Janitscharen hatten, die ich in meinen Finanzseminaren an sie weitergab –, und es war nicht schwierig, sie davon zu überzeugen, wie wichtig es war, an Demonstrationen für eine größere Unabhängigkeit Pakistans innerer und äußerer Angelegenheiten teilzunehmen. Demonstrationen, die in der ausländischen Presse wenig später, nachdem unsere Versammlungen nachrichtenwürdige Ausmaße angenommen hatten, als antiamerikanisch etikettiert wurden.
    Der erste unserer Proteste, der größere Aufmerksamkeit erregte, fand nicht weit von hier statt. Der Botschafter Ihres Landes war in der Stadt, und wir bildeten einen Ring um das Gebäude, in dem er sprach, skandierten und hielten Plakate hoch. Wir waren Tausende, alle erdenklichen Richtungen waren vertreten – Kommunisten, Kapitalisten, Feministinnen, religiöse Fundamentalisten –, und dann lief die Sache aus dem Ruder. Puppen wurden verbrannt und Steine geworfen, und darauf gingen zahlreiche Polizisten auf uns los, in Uniform und Zivil. Es kam zu Rangeleien, ich wollte eine schlichten, mit dem Ergebnis, dass ich eine Nacht mit blutender Lippe und aufgeschrammten Knöcheln im Gefängnis verbrachte.
    In meiner Arbeitszeit fanden bald so viele Treffen mit politisch interessierten Jugendlichen statt, dass ich oft gezwungen war, bis weit nach dem Abendessen zu bleiben, um den universitären und außeruniversitären Ansprüchen all derer, die mich aufsuchten, auch gerecht zu werden. Naturgemäß wurde ich zum Mentor für viele dieser Männer und Frauen: Ich beriet sie nicht nur bei ihren Referaten und Kundgebungen, sondern auch in Herzensangelegenheiten und einer breiten Palette anderer Themen: von Drogenrehabilitation und Familienplanung über Frauenhäuser bis zu den Rechten von Gefangenen.
    Ich will Ihnen nicht vormachen, dass alle meine Studenten Engel waren; manche, und da bin ich der Erste, der das zugibt, waren nicht besser als gemeine Schläger. Aber im Laufe der Jahre hatte ich die Fähigkeit entwickelt, einen Menschen schnell einzuschätzen – eine Fähigkeit, die, und dies nicht zu unterstreichen wäre nachlässig, in beträchtlichem Maße der meines damaligen Mentors Jim nachgebildet war –, und auch wenn ich mich nicht für unfehlbar halte, darf ich wohl sagen, dass meine Menschenkenntnis im Allgemeinen sehr gut ist. Beispielsweise weiß ich zumeist, wer in einer Menschenmenge am ehesten Gewalt provoziert oder wer von meinen Kollegen am ehesten den Rektor bedrängt, mich in meine Schranken zu weisen, bevor meine Aktivitäten außer Kontrolle geraten.
    Mehr als einmal bin ich offiziell verwarnt worden, doch meine Kurse sind so gefragt, dass ich bis jetzt von einer Suspendierung verschont geblieben bin. Und damit Sie nicht meinen, ich sei einer jener Dozenten, die mit jungen Kriminellen unter einer Decke stecken und keinerlei Interesse an Erziehung haben und die ihre Campus-Gruppen wie marodierende Banden führen, sollte ich erwähnen, dass die Studenten, die gemeinhin zu mir kommen, kluge, idealistische Leute sind, die ebenso höflich wie ehrgeizig sind. Wir nennen einander Genosse – wie überhaupt alle, die wir als Gleichgesinnte ansehen –, aber ich würde nicht zögern, stattdessen den Begriff Wohlmeinender zu gebrauchen. Und so war ich unlängst aufs äußerste bestürzt, als ich hörte, einer von ihnen sei wegen eines geplanten Anschlags auf einen Koordinator Ihres Landes, der Entwicklungshilfemittel an unsere armen Landbewohner verteilen sollte, verhaftet worden.
    Ich hatte keine Insiderkenntnisse von diesem angeblichen Plan, der desto perverser war, da er angeblich einen Vertreter
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