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Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Titel: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte
Autoren: Mohsin Hamed
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Empfehlungen –, bis die Besten und Klügsten von uns identifiziert waren. Ich hatte exzellente Examensergebnisse in Pakistan und spielte außerdem noch so gut Fußball, dass ich in der Uni-Mannschaft mithalten konnte, wo ich auch einen Stammplatz hatte, bis ich mir im zweiten Jahr das Knie verletzte. Studenten wie ich erhielten Visa, Stipendien, also volle finanzielle Unterstützung, und wir wurden in die Welt der herrschenden Elite eingeführt. Als Gegenleistung erwartete man von uns, dass wir unsere Begabungen in Ihre Gesellschaft einbrachten, die Gesellschaft, der wir uns anschlossen. Und ganz überwiegend taten wir das auch gern. Ich jedenfalls, zumindest am Anfang.
    In jedem Herbst ließ sich Princeton von den Personalleuten der großen Firmen, die auf den Campus kamen, in den Ausschnitt gucken und zeigte ihnen ein wenig Haut, wie Sie in Amerika sagen. Die Haut, die Princeton zeigte, war natürlich eine gute – jung, eloquent und klug wie nur etwas –, doch selbst inmitten all dieser Haut war ich, wie ich in meinem letzten Jahr wusste, etwas Besonderes. Ich war die perfekte Brust, wenn Sie so wollen – gebräunt, knackig und scheinbar der Schwerkraft trotzend –, und ich war überzeugt, jeden Job zu bekommen, den ich haben wollte.
    Bis auf einen: Underwood Samson & Company. Sie haben nicht davon gehört? Es war eine Unternehmensberatung. Sie sagten ihren Klienten, wie viel eine Firma wert war, und das taten sie, wie es hieß, mit einer geradezu unheimlichen Präzision. Sie waren klein – eigentlich eine Boutique, minimale Belegschaft –, und sie zahlten gut; frisch vom College bekam man da ein Grundgehalt von über achtzigtausend Dollar. Was aber wichtiger war, sie gaben einem ein solides Handwerkszeug und einen gediegenen Markennamen, der war so gediegen, dass man nach zwei Jahren als Berater dort die Aufnahme zur Harvard Business School praktisch in der Tasche hatte. Deswegen schickten über hundert Angehörige des Princeton-Jahrgangs 2001 ihre Zeugnisse und Lebensläufe bei Underwood Samson ein. Acht wurden ausgewählt – nicht für einen Job, um das klarzustellen, sondern für ein Bewerbungsgespräch –, und einer davon war ich.
    Sie wirken besorgt. Dazu besteht kein Anlass; der kräftige Bursche da ist bloß unser Kellner, und Sie brauchen auch nicht in Ihr Jackett zu greifen, nach Ihrer Brieftasche, wie ich vermute, denn wir bezahlen erst später, wenn wir gehen. Möchten Sie lieber normalen Tee mit Milch und Zucker oder grünen, oder vielleicht die hiesige duftigere Spezialität, Kaschmir-Tee? Eine ausgezeichnete Wahl. Ich nehme das Gleiche, und vielleicht auch noch einen Teller Jalebis. Und schon ist er weg. Ich gebe es ja zu, ein recht einschüchternder Zeitgenosse. Aber von einwandfreien Umgangsformen: Sie wären von seiner reizenden Art überrascht gewesen, wenn Sie denn Urdu verstünden.
    Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, Underwood Samson. Am Tag meines Bewerbungsgesprächs war ich sehr nervös, was eigentlich nicht meine Art ist. Sie hatten nur einen Vertreter geschickt, und der empfing uns in einem Zimmer des Nassau Inn, ein normales Zimmer, muss ich dazu sagen, keine Suite; sie wussten, dass wir auch so schon ausreichend beeindruckt waren. Als ich an die Reihe kam, trat ich ein und stand vor einem Mann, der rein äußerlich nicht viel anders aussah als Sie; auch er wirkte wie ein bewährter Offizier. »Changez?«, fragte er, worauf ich nickte, denn so heiße ich. »Kommen Sie, setzen Sie sich.«
    Er heiße Jim, sagte er, und ich hätte genau fünfzig Minuten, um ihn zu überzeugen, mir eine Stelle anzubieten. »Verkaufen Sie sich«, sagte er. »Was ist das Besondere an Ihnen?« Ich begann mit meinen Studienunterlagen, verwies darauf, dass ich auf einen Abschluss summa cum laude zusteuerte, dass ich noch nie schlechter als mit »sehr gut« abgeschnitten hätte. »Sie sind bestimmt ein pfiffiger Junge«, sagte er, »aber von allen, mit denen ich heute spreche, wurde auch keiner schlechter als mit ›sehr gut‹ benotet.« Das war für mich eine beunruhigende Offenbarung. Ich sagte ihm, ich sei hartnäckig, ich hätte die Physiotherapie nach meiner Knieverletzung doppelt so schnell hinter mich gebracht, als es die Ärzte erwartet hatten, zwar könne ich nicht mehr Uni-Fußball spielen, aber ich liefe die Meile inzwischen wieder in unter sechs Minuten. »Das ist gut«, sagte er, und zum ersten Mal glaubte ich, Eindruck auf ihn gemacht zu haben, doch dann fragte er weiter: »Aber was
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