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Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Titel: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte
Autoren: Mohsin Hamed
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wohl verstehen. Wahrscheinlich machten die Krieger im Altertum etwas Ähnliches, bevor sie in die Schlacht zogen, nahmen in einem Ritual ihren bevorstehenden Tod an, so dass sie unbelastet von Furcht funktionieren konnten.
    In diesen Zustand versetzte ich mich nun in dem Bewerbungsgespräch. Mein ganzes Wesen war darauf gerichtet, meinen Weg durch das Projekt zu suchen. Ich begann mit Verständnisfragen zur Technik: wie skalierbar sie war, wie zuverlässig, wie sicher. Dann fragte ich Jim nach der Umgebung: ob es unmittelbare Konkurrenten gab, was die Regulierungsbehörde unternehmen würde, ob manche Lieferanten besonders bedenklich waren. Danach betrachtete ich die Kostenseite, um mir ein Bild zu machen, mit welchen Ausgaben wir rechnen mussten. Und schließlich sah ich mir die Einnahmen an, zog die Concorde als Beispiel dafür heran, wie es um Preisaufschlag und Nachfrage bestellt ist, wenn man die Reisezeit halbiert, und schätzte dann ab, wie viel mehr man bekommen würde, wenn man sie auf null reduzierte. Nachdem ich das alles getan hatte, rechnete ich die Profite für die Zukunft hoch und diskontierte daraus den NPV, also den Gegenwartswert. Und so gelangte ich zu einer Zahl.
    »Zwei Komma drei Milliarden Dollar«, sagte ich. Jim schwieg eine Weile. Dann schüttelte er den Kopf. »Maßlos optimistisch«, sagte er. »Sie schätzen die Akzeptanz der Kunden diesem Ding gegenüber viel zu hoch ein. Würden Sie denn gern in eine Maschine steigen, sich entmaterialisieren und dann Tausende von Kilometern entfernt wieder zusammensetzen lassen? Genau um so einen gehypten Mist durchzurechnen, bezahlen unsere Klienten Underwood Samson.« Ich ließ den Kopf hängen. »Aber«, fuhr Jim fort, »Ihr Ansatz war richtig. Sie haben die nötigen Voraussetzungen. Sie brauchen nur noch Training und Erfahrung.« Er hielt mir die Hand hin. »Sie haben ein Angebot. Wir geben Ihnen eine Woche für Ihre Entscheidung.«
    Erst glaubte ich ihm nicht. Ich fragte ihn, ob das sein Ernst sei, ob ich nicht noch eine zweite Runde durchlaufen müsse. »Wir sind eine kleine Firma«, sagte er. »Wir verschwenden keine Zeit. Außerdem bin ich für die neuen Berater zuständig. Ich brauche keine zweite Meinung.« Mir wurde bewusst, dass seine Hand noch immer zwischen uns in der Luft hing, und voller Angst, sie könnte zurückgezogen werden, packte und schüttelte ich sie. Sein Griff war fest und schien mir in dem Moment zu übermitteln, dass Underwood Samson das Potenzial hatte, mein Leben mit derselben Gewissheit zu verändern, wie es seines verändert hatte, wodurch meine Sorgen bezüglich Geld und Status in eine ferne Vergangenheit gerückt wurden. Ich weiß noch, wie ich an jenem Spätnachmittag zu meinem Wohnheim zurückging – Edwards Hall hieß es. Der Himmel war von einem strahlenden Blau, so anders als der orangefarbene, staubige Himmel heute über uns, und ich spürte, wie etwas in mir aufwallte, ein Stolz, der so stark war, dass ich davon den Kopf hob und zu meiner Überraschung wie sicher auch der der anderen Studenten, die vorüberkamen, schrie: »Danke, Gott!«
    Ja, es war berauschend. So sehe ich Princeton, wenn ich, zugegebenermaßen etwas weitschweifig, daran zurückdenke. Princeton hat mir alles ermöglicht. Doch darüber habe ich nicht, ja, konnte ich nicht vergessen, wie sehr ich zum Beispiel den Tee hier in meiner Heimatstadt genieße, wenn er lange genug gezogen und eine kräftige, dunkle Farbe angenommen hat und dann noch mit frischer Vollmilch cremig gemacht wird. Er ist doch hervorragend, oder? Aber Sie haben ausgetrunken. Gestatten Sie, dass ich Ihnen noch eine Tasse eingieße.

2
    Sehen Sie die Mädchen dort, in den Jeans mit Farbspritzern darauf? Ja, sie sind wirklich sehr attraktiv. Und wie anders sie aussehen als die Frauen der Familie, die da an unserem Nachbartisch in ihrer traditionellen Kleidung sitzen. Die Staatliche Kunstakademie ist nicht weit – eigentlich gleich um die Ecke –, und die Studenten kommen von dort oft auf eine Tasse Tee her, genau wie wir jetzt. Eine ist Ihnen offenbar besonders aufgefallen; sie ist in der Tat eine Schönheit. Sagen Sie, Sir, haben Sie in Ihrer Heimat eine Liebe zurückgelassen – männlich oder weiblich, ich kenne Ihre Neigungen ja nicht, wenngleich die Intensität Ihres Blicks Letzteres nahelegt?
    Ihr Achselzucken ist unergründlich, aber ich bin mitteilsamer. Ich ließ nämlich eine zurück, sie hieß Erica. Wir lernten uns im Sommer nach dem Examen kennen, wir gehörten zu
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