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Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Titel: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte
Autoren: Mohsin Hamed
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brüderlichen Instinkte der Menge zu wenden, und man weiß, dass die Menge Männer verprügelt, die ihre Schwestern ärgern. Da , Sir, sehen Sie? Er ist weitergegangen. Er hat nur etwas angestarrt, was ihn fasziniert hat, genau wie Sie selbst; Sie natürlich mit erheblich mehr Diskretion.
    Ich jedenfalls bemühte mich in jenem Sommer in Griechenland mit Erica, sie nicht anzustarren. Doch gegen Ende unserer Ferien, auf Rhodos, konnte ich nicht mehr anders. Sie waren noch nie auf Rhodos? Da müssen Sie mal hin. Diese Insel erschien mir anders als alle anderen, auf denen wir waren. Die Städte dort waren befestigt, von alten Burgen behütet; sie schützten sie gegen die Türken – so wie das im heutigen Griechenland Armee, Marine und Luftwaffe tun – als Teil einer Mauer gegen den Osten, die noch immer steht. Was für ein seltsamer Gedanke, dass ich auf der anderen Seite aufgewachsen war!
    Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Ich wollte Ihnen von dem Augenblick erzählen, der mich zwang, sie anzustarren. Wir lagen in der Sonne am Strand, und viele europäische Frauen waren, wie üblich, oben ohne – eine Gewohnheit, die ich vollen Herzens unterstützte, die die Frauen unter uns Princetoniern jedoch bis dahin leider nicht übernommen hatten –, als ich sah, dass Erica die Träger ihres Bikinioberteils löste. Und dann, nur eine Armeslänge entfernt, bot sie ihren Busen vor meinen Augen der Sonne dar.
    Einen Augenblick später – nein, Sie haben recht: Ich bin nicht aufrichtig; es war mehr als ein Augenblick – drehte sie den Kopf zur Seite und sah, wie ich sie anstarrte. Etliche mögliche Alternativen boten sich an: Ich konnte jäh den Blick abwenden und damit nicht nur beweisen, dass ich hingestarrt hatte, sondern auch, dass mir ihre Nacktheit Unbehagen bereitete; ich konnte, nach einer kleinen Weile, beiläufig woanders hinsehen, als wäre der Anblick ihrer Brüste das Natürlichste auf der Welt gewesen; ich konnte weiter hinstarren und damit meine Bewunderung für das, was sie da enthüllt hatte, ehrlich bekunden; oder ich konnte durch eine wohlplatzierte literarische Anspielung ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, dass es eine Stelle in Herr Palomar gab, die mein Dilemma perfekt erfasste.
    Doch ich tat nichts davon. Vielmehr errötete ich und sagte »Hallo«. Sie lächelte – mit untypischer Scheu, wie mir schien – und antwortete »Hi«. Ich nickte und überlegte, was ich sonst noch sagen konnte, aber mir fiel nichts ein, und so sagte ich noch einmal »Hallo«. Gleich darauf hätte ich mich am liebsten in Luft aufgelöst; ich wusste, dass ich unfassbar dumm klang. Sie lachte auf, ihre kleinen Brüste wippten, und sie sagte: »Ich geh schwimmen.« Aber dann drehte sie sich im Gehen halb um und fügte hinzu: »Kommst du mit?«
    Ich folgte ihr und beobachtete dabei, wie die Muskeln auf ihrem unteren Rücken sich sanft spannten, um ihr Rückgrat zu stützen. Wir erreichten das Wasser; es war warm und vollkommen klar, unter seiner Oberfläche sah man runde Kiesel und die Blitze kleiner Fische. Wir glitten hinein, sie schwamm mit kräftigen Stößen in die Bucht hinaus und trat dann Wasser, bis ich zu ihr aufgeschlossen hatte. Eine Zeitlang schwiegen wir, während unsere glitschigen Beine, das Meer aufwühlend, einander streiften. »Ich glaube«, sagte sie schließlich, »ich bin noch keinem in unserem Alter begegnet, der so höflich ist wie du.« »Höflich?«, sagte ich, nicht gerade freudestrahlend. Sie lächelte. »So meine ich das nicht«, sagte sie. »Nicht langweilig höflich. Respektvoll höflich. Du lässt einem Raum. Das mag ich wirklich. Es ist ungewöhnlich.«
    Wir hüpften weiter voreinander auf und ab, und ich gewann den Eindruck, dass sie auf eine Antwort von mir wartete, doch alle Wörter hatten mich verlassen. Stattdessen mühten sich meine Gedanken darum, ein Gesicht aufzusetzen, das nicht idiotisch wirkte. Sie machte kehrt und schwamm Richtung Strand, den Kopf über Wasser. Ich zog neben sie und sagte, endlich über meine gelähmte Zunge siegend: »Sollen wir zurück in die Stadt und was trinken gehen?« Worauf sie die Augenbrauen hob und in einem für sie unüblichen Tonfall antwortete: »Mit dem größten Vergnügen, mein Herr.«
    Am Strand zog sie ein Hemd an – ein Herrenhemd, das weiß ich noch, blau, an den Kragenspitzen abgestoßen – und stopfte Handtuch und Bikinioberteil in eine Tasche. Von unseren Begleitern wollte keiner mit, da der Tag noch mindestens eine Stunde Sonnenbräunung
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