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Der Fürst des Nebels

Der Fürst des Nebels

Titel: Der Fürst des Nebels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Bevor irgendein Familienmitglied ein Wort sagen konnte, sprang Irinas Katze aus ihren Armen und stürzte mit einem kräftigen Miauen die Treppe hinauf.
Maximilian Carver folgte ihrem Beispiel und betrat den neuen Familiensitz.
»Wenigstens einem gefällt es«, glaubte Max Alicia leise sagen zu hören.
Als erstes ordnete Max' Mutter an, die Türen und Fenster weit zu öffnen und das Haus durchzulüften. Dann beschäftigte sich die ganze Familie fünf Stunden lang damit, das neue Heim bewohnbar zu machen. Mit der Genauigkeit eines Spezialkommandos übernahm jedes Familienmitglied eine bestimmte Aufgabe. Alicia richtete die Zimmer und die Betten her: Mit dem Federbesen in der Hand ließ Irina Türme von Staub aus ihrem Versteck in die Luft wirbeln, und Max folgte ihr auf den Fersen, um ihn aufzufangen. Inzwischen verteilte seine Mutter das Gepäck und notierte in Gedanken alle Arbeiten, die bald begonnen werden mußten. Maximilian Carver bemühte sich, die Wasserleitungen, das Licht und die übrigen technischen Vorrichtungen des Hauses wieder zum Funktionieren zu bringen. Da sie viele Jahre lang außer Gebrauch gewesen waren, war dies nicht gerade eine leichte Aufgabe.
Schließlich versammelte sich die Familie beim Hauseingang. Sie setzten sich auf die Treppenstufen ihrer neuen Wohnstätte und gönnten sich eine Ruhepause. Schweigend blickten sie hinaus auf das Meer, das mit herabsinkender Sonne in einem goldenen Glanz erstrahlte.
»Für heute reicht's«, gab Maximilian Carver zu. Er war ganz und gar mit Ruß und Schmutzflecken bedeckt.
»Ein paar Wochen Arbeit, dann wird das Haus allmählich anfangen, wohnlich zu werden«, fügte die Mutter hinzu.
»In den oberen Zimmern gibt es Spinnen«, verkündete Alicia. »Riesengroße.«
»Spinnen? Oh!« rief Irina. »Und wie sehen die aus?«
»So wie du«, erwiderte Alicia.
»Fangt nicht schon wieder an, ja?« unterbrach sie ihre Mutter, wobei sie sich die Nase rieb. »Max soll sie töten.«
»Man muß sie doch nicht gleich töten«, warf der Vater ein. »Max soll sie einfangen und in den Garten setzen, das genügt.«
»Immer muß ich die heldenhaften Aufgaben übernehmen«, protestierte Max. »Hat das Ausrotten noch bis morgen Zeit?«
»Alicia?« hakte seine Mutter nach.
»Ich denke nicht daran, in einem Zimmer voller Spinnen und Gott weiß was für frei herumlaufendem Getier zu schlafen«, erklärte Alicia.
»Wie engstirnig«, urteilte Irina.
»Scheusal«, erwiderte Alicia.
»Max, bevor hier ein Krieg ausbricht - mach den Spinnen den Garaus«, sagte Maximilian Carver mit müder Stimme.
»Soll ich sie töten oder ihnen nur ein bißchen Angst einjagen? Ich könnte ihnen zum Beispiel ein Bein verdrehen...« schlug Max vor.
»Max!« Seine Mutter schnitt ihm das Wort ab.
Max reckte seine Glieder und betrat das Haus. Er stieg die Treppe zum oberen Stockwerk hinauf, wo sich die Schlafzimmer befanden. Von der obersten Treppenstufe aus beobachteten ihn die funkelnden Augen von Irinas Katze, starr, ohne zu blinzeln.
Max ging an dem Tier vorbei, das den oberen Stock wie ein Wachposten zu beaufsichtigen schien. Als er auf eines der Zimmer zusteuerte, folgte die Katze seinen Schritten.
Der Holzboden knarrte leise unter seinen Füßen. Max fing mit seiner Spinnenjagd in den Zimmern an, die nach Südwesten hinausgingen. Von den Fenstern aus konnte man den Strand sehen und die absteigende Bahn der untergehenden Sonne gen Westen. Er suchte den Boden gründlich nach kleinen, behaarten, schnell umherflitzenden Tierchen ab. Seit der Putzaktion war der Holzboden einigermaßen sauber, und es dauerte einige Minuten, bis Max das erste Mitglied der Spinnenfamilie entdeckte. Er beobachtete, wie ein Exemplar von beträchtlicher Größe aus einem Winkel heraus direkt auf ihn zulief, wie ein Draufgänger, der von seinen Artgenossen vorgeschickt worden war, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Das Tier war bestimmt zwei Daumen breit und hatte einen goldenen Fleck auf dem schwarzen Körper.
Max streckte die Hand nach einem Besen aus, der an der Wand lehnte, und richtete sich darauf ein, die Spinne mit einem gezielten Schlag ins Jenseits zu befördern. Er wollte gerade ausholen, als plötzlich Irinas Katze, die Kiefer wie ein kleiner Tiger geöffnet, auf die Spinne zustürzte, sie verschlang und krachend zerkaute. Max ließ den Besen sinken und sah die Katze verdutzt an, die ihm einen bösartigen Blick zuwarf. »Das ist mir ja ein feines Kätzchen«, murmelte er.
Die Katze würgte die Spinne hinunter und
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