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Der Fürst des Nebels

Der Fürst des Nebels

Titel: Der Fürst des Nebels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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London hergebracht werden sollten. Dieser Eigensinn hatte die Kosten für das Haus verdreifacht, doch als vermögender Chirurg konnte Fleischmann sich das erlauben.
    Mit großem Mißtrauen beobachteten die Einwohner das Kommen und Gehen der unzähligen Arbeiter und Lastwagen während des ganzen Winters im Jahre 1926, und das Gerippe des Hauses am Ende des Strandes wuchs unterdessen Tag für Tag. Endlich, im Frühling des Jahres 1927, legten die Maler den letzten Pinselstrich an das Haus, und Wochen später richtete sich das Ehepaar darin ein, um den Sommer dort zu verbringen. Das Haus am Strand wurde bald zu einem Glücksbringer, der das Schicksal der Fleischmanns verändern sollte. Die Frau des Chirurgen, die bei einem Unfall vor vielen Jahren allem Anschein nach die Fähigkeit, Kinder zu bekommen, verloren hatte, war während dieses ersten Jahres schwanger geworden. Am 23. Juni 1928 brachte sie mit der Hilfe ihres Mannes unter dem Dach des Hauses am Strand einen Sohn zur Welt, der den Namen Jacob tragen sollte.
    Jacob war wie ein Segen des Himmels, der das verbitterte und vereinsamte Wesen der Fleischmanns veränderte. Bald begannen der Arzt und seine Frau, sich besser mit den Dorfbewohnern zu vertragen, und während der neun glücklichen Jahre, die sie in dem Haus am Strand verbrachten, wurden sie zu geselligen und geschätzten Persönlichkeiten. Doch dann geschah im Jahr 1936 ein entsetzliches Unglück: Eines Morgens im Sommer jenes Jahres ertrank der kleine Jacob, als er am Strand vor dem Haus spielte.
    Die ganze Freude und das Licht, das der ersehnte Sohn dem Ehepaar gebracht hatte, erloschen an jenem Tag für immer. Während des Winters im Jahr 1936 verschlechterte sich Fleischmanns Gesundheitszustand immer mehr, und bald wußten seine Ärzte, daß er den Sommer des Jahres 1937 nicht mehr erleben würde. Ein Jahr nach dem Unglück stellten die Anwälte der Witwe das Haus zum Verkauf. Es fand sich jedoch kein Käufer, und so blieb das Haus am äußersten Ende des Strandes jahrelang leer und geriet langsam in Vergessenheit.
    Da erfuhr schließlich Maximilian Carver durch Zufall von seiner Existenz. Der Uhrmacher war auf dem Heimweg von einer Reise gewesen, bei der er Ersatzteile und Werkzeuge für seine Werkstatt gekauft hatte, und hatte beschlossen, in dem Dorf zu übernachten. Während des Abendessens in dem kleinen Hotel vor Ort fing Maximilian ein Gespräch mit dem Besitzer an und äußerte dabei auch seinen lange gehegten Wunsch, in einem Dorf wie diesem zu leben. Der Hotelbesitzer erzählte ihm von dem Haus, und Maximilian beschloß, seine Rückkehr zu verschieben und das Haus am darauffolgenden Tag zu besichtigen. Auf der Rückreise schob er in seinen Gedanken die Zahlen hin und her und überlegte, ob er eine Uhrmacherwerkstatt in dem Dorf eröffnen könnte. Er zögerte acht Monate lang, bevor er seiner Familie die Nachricht mitteilte, aber im Grunde seines Herzens hatte er die Entscheidung schon lange zuvor getroffen.
    Der erste Tag in dem Haus am Strand blieb Max in Erinnerung als eine merkwürdige Folge von ungewöhnlichen Bildern. Als erstes, gleich als die Lieferwagen vor dem Haus angehalten hatten und Robin und Philipp anfingen, das Gepäck auszuladen, brachte es Maximilian Carver unerklärlicherweise fertig, über etwas zu stolpern, das wie ein alter Eimer aussah. Er taumelte und fiel schließlich über den weißen Zaun, von dem er bei seinem Sturz mehr als vier Meter niederriß. Die Familie brach in schallendes Gelächter aus, und der Uhrmacher trug von dem Unfall nichts als ein paar blaue Flecken davon.
    Die beiden kräftigen Träger brachten die Gepäckstücke bis zu dem überdachten Treppenaufgang des Hauses und verschwanden dann, da sie ihren Auftrag als erledigt betrachteten. Sie überließen es der Familie, die Koffer selbst die Treppen hinaufzutragen. Als Maximilian Carver feierlich das Haus aufsperrte, entwich ein muffiger Geruch durch die Tür, wie ein Gespenst, das jahrelang in seinen Mauern gefangen war. Das Innere des Hauses war von einem feinen Nebel aus Staub und schwachem Licht durchflutet, das durch die heruntergelassenen Jalousien eindrang.
    »Mein Gott«, murmelte Max' Mutter bei dem Gedanken an die Tonnen von Staub, die sie hier demnächst wegputzen mußte.
    »Ein Wunder«, beeilte sich Maximilian Carver zu erklären. »Ich habe es euch ja gesagt.«
Max wechselte einen resignierten Blick mit seiner Schwester Alicia. Die kleine Irina betrachtete erstaunt das Innere des Hauses.
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