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Der Fürst des Nebels

Der Fürst des Nebels

Titel: Der Fürst des Nebels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Die meisten davon waren kleine Holzboote, nicht länger als vier Meter. Die Fischer des Ortes benutzten sie, um das Meer in einigen hundert Metern Entfernung vom Strand mit alten Netzen zu durchkämmen.
Max umfuhr mit dem Fahrrad das Labyrinth der Boote, die zur Reparatur auf den Molen aufgebockt standen, und die Berge aus Holzkisten von der Handelsgesellschaft vor Ort. Den Blick starr auf den kleinen Leuchtturm gerichtet, peilte Max den gebogenen Damm an, der den Hafen wie ein Halbmond umschloß. Als er am äußersten Ende angekommen war, lehnte er das Fahrrad an den Leuchtturm und setzte sich zum Ausruhen auf einen der großen Steine auf der anderen Seite des Deiches, die durch die Stöße des Meeres zerfressen waren. Von dort aus konnte er den Ozean betrachten, der sich wie eine Folie aus blendendem Licht bis ins Unendliche ausbreitete.
Er hatte kaum ein paar Minuten lang aufs Meer hinausgeblickt, als er ein anderes Fahrrad sah, das von einem großen und schlanken Jungen gelenkt wurde und sich auf dem Damm näherte. Der Junge, den Max auf sechzehn oder siebzehn Jahre schätzte, fuhr mit seinem Fahrrad bis zum Leuchtturm und stellte es neben das von Max. Dann strich er sich langsam das dichte Haar aus dem Gesicht und lief auf die Stelle zu, an der Max sich ausruhte.
»Hallo! Gehörst du zu der Familie, die sich im Haus am Ende des Strandes eingerichtet hat?«
Max nickte.
»Ich heiße Max.«
Der Junge, dessen Haut stark von der Sonne gebräunt war und der durchdringende grüne Augen hatte, reichte ihm seine Hand.
»Roland. Willkommen in der langweiligsten Stadt der Welt.«
Max lächelte und ergriff Rolands Hand.
»Wie ist das Haus? Gefällt es euch?« fragte der Junge.
»Da gibt es geteilte Meinungen. Mein Vater ist begeistert davon. Der Rest der Familie sieht das anders«, erklärte Max.
»Ich habe deinen Vater vor einigen Monaten kennengelernt, als er ins Dorf kam«, sagte Roland. »Er schien mir ein lustiger Typ zu sein. Uhrmacher, nicht wahr?«
Max nickte.
»Er ist wirklich ein lustiger Typ«, bestätigte Max. »Manchmal. Aber manchmal kommen ihm auch so abwegige Ideen in den Kopf wie die, hierherzuziehen.«
»Warum seid ihr ins Dorf gekommen?« fragte Roland.
»Wegen dem Krieg«, erwiderte Max. »Mein Vater meint, daß es keine gute Zeit ist, um in der Stadt zu leben. Wahrscheinlich hat er recht.«
»Der Krieg«, wiederholte Roland und senkte den Blick. »Ich werde im September eingezogen.«
Max verstummte. Roland bemerkte sein Schweigen und versuchte zu lächeln.
»Es hat auch seine gute Seite«, sagte er. »Vielleicht ist das mein letzter Sommer im Dorf.«
Max erwiderte zaghaft sein Lächeln, während er daran dachte, daß auch er in ein paar Jahren seinen Einberufungsbefehl erhalten würde, falls der Krieg bis dahin nicht zu Ende wäre. Sogar an einem Tag voller blendendem Licht wie diesem hüllte das unsichtbare Schreckgespenst des Krieges die Zukunft in einen Mantel aus Finsternis.
»Ich nehme an, du hast dir das Dorf noch nicht richtig angesehen«, sagte Roland.
Max schüttelte den Kopf.
»Na gut, du Anfänger. Nimm dein Rad. Wir machen jetzt eine Touristenführung auf Rädern.«
    Max mußte sich anstrengen, um mit Roland Tempo zu halten, und als nur noch zweihundert Meter bis zum Ende des Dammes fehlten, liefen ihm die ersten Schweißtropfen an der Stirn und an den Seiten herunter. Roland drehte sich um und warf ihm ein verschmitztes Lächeln zu.
    »Nicht genug Übung, was? Das Leben in der Stadt hat dich deine Kondition gekostet«, schrie er ihm zu, ohne die Geschwindigkeit zu verringern.
    Max folgte Roland auf der Promenade, die an der Küste entlangführte und dann in das Dorf einbog. Als Max allmählich zurückfiel, fuhr Roland langsamer und blieb schließlich bei einem großen Steinbrunnen in der Mitte eines Platzes stehen. Max radelte bis dorthin und ließ das Fahrrad auf den Boden fallen. Das Wasser sprudelte herrlich frisch aus dem Brunnen.
    »Das würde ich dir nicht raten«, sagte Roland, der seine Gedanken erriet. »Blähungen...«
Max holte tief Luft und tauchte den Kopf unter den Strahl des kalten Wassers.
»Wir werden langsamer fahren«, schlug Roland vor.
Max blieb einige Sekunden lang unter dem Wasserstrahl des Brunnens und lehnte sich dann gegen den Stein, wobei sein nasser Kopf ihm die Kleidung volltropfte. Roland grinste ihn an.
»Ehrlich gesagt hätte ich nicht erwartet, daß du so zäh bist. Das da«, er zeigte um sich, »ist das Zentrum des Dorfes. Der Rathausplatz. Das Gebäude
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