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Der Fürst des Nebels

Der Fürst des Nebels

Titel: Der Fürst des Nebels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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verscheuchen und den verrückten Blick des Clowns zu vergessen, der im Nebel des Skulpturengartens lächelte.
Kapitel 4
    D ie Fahrräder, die Maximilian Carver aus ihrem Dämmerzustand in dem kleinen Schuppen im Hof gerettet hatte, waren in einem besseren Zustand, als Max erwartet hatte. Es sah so aus, als wären sie so gut wie nie gebraucht worden. Ausgerüstet mit ein paar Putzledern und einer speziellen Flüssigkeit zum Reinigen von Metall machte sich Max daran, die beiden Fahrräder in Ordnung zu bringen, und entdeckte, daß sie unter ihrer Schmutz- und Rostschicht neu waren und glänzten. Gemeinsam mit seinem Vater ölte er die Ketten und die Zahnräder und pumpte die Reifen auf.
    »Wahrscheinlich müssen wir die Schläuche demnächst auswechseln«, erklärte Maximilian Carver. »Aber vorerst dürfte das genügen, um ein wenig herumzufahren.«
    Eins von den Fahrrädern war kleiner als das andere, und während Max sie putzte, überlegte er immer wieder, daß Doktor Fleischmann diese Fahrräder wohl vor Jahren in der Hoffnung gekauft hatte, mit Jacob auf dem Strandweg spazierenfahren zu können. Maximilian Carver las im Blick seines Sohnes einen Anflug von Schuld.
    »Bestimmt hätte sich der alte Doktor sehr darüber gefreut, daß du das Fahrrad nimmst.«
»Da bin ich nicht so sicher«, murmelte Max. »Warum haben sie sie hiergelassen?«
»Laß dich doch nicht von diesen alten Geschichten quälen. Du brauchst sie nicht mit dir herumzutragen«, erwiderte Maximilian Carver. »Wahrscheinlich hat die Räder einfach niemand mehr benutzt. Laß sehen, steig auf. Wir wollen sie ausprobieren.«
Sie setzten die Fahrräder auf die Erde, und Max stellte die Höhe des Sattels ein, wobei er gleich den Zug des Bremskabels überprüfte.
»Man müßte die Bremsen noch ein wenig besser schmieren«, stellte Max fest.
»Das kommt mir auch so vor«, bekräftigte sein Vater und machte sich an die Arbeit. »Hör mal. Max.«
»Ja, Papa.«
»Grüble nicht zuviel über die Sache mit den Fahrrädern nach, einverstanden? Was dieser armen Familie zugestoßen ist, hat nichts mit uns zu tun. Ich hätte es euch wohl gar nicht erzählen sollen«, sagte der Uhrmacher mit besorgtem Gesichtsausdruck. »Das ist nicht so schlimm.« Max zog erneut die Bremse. »Jetzt ist sie in Ordnung,«
»Also los!«
»Kommst du nicht mit?« fragte Max.
»Heute abend, wenn du dann noch Lust hast, werde ich dir eine Abreibung verpassen, wie du sie noch nicht erlebt hast. Aber um elf treffe ich im Dorf einen gewissen Fred, der mir einen Raum vermieten wird, wo ich den Laden einrichten kann. Man muß schließlich Geschäfte machen.«
Maximilian Carver begann die Werkzeuge einzusammeln und sich die Hände mit einem der Putzleder zu säubern. Max betrachtete seinen Vater und fragte sich, wie Maximilian Carver in seinem Alter gewesen sein mochte. In der Familie hieß es für gewöhnlich, daß die beiden einander ähnlich sahen, aber es hieß auch, daß Irina Andrea Carver ähnelte, und das war mit Sicherheit nicht mehr als einer dieser dummen Gemeinplätze, die Großmütter, Tanten und eine ganze Reihe von unerträglichen Vettern auf Familienfesten ständig von sich gaben.
»Max in einem seiner Tagträume«, bemerkte Maximilian Carver lächelnd.
»Wußtest du, daß es bei dem Wald hinterm Haus einen Skulpturengarten gibt?« stieß Max hervor und war selbst überrascht, sich diese Frage formulieren zu hören.
»Es gibt hier bestimmt viele Dinge, die wir noch nicht entdeckt haben. Der Schuppen zum Beispiel ist voller Kisten, und heute morgen habe ich gesehen, daß der Heizungskeller wie ein Museum aussieht. Ich glaube, wenn wir den ganzen Schrott, den es in diesem Haus gibt, an einen Altwarenhändler verkaufen würden, müßte ich nicht einmal den Laden eröffnen. Wir könnten von den Zinsen leben.«
Maximilian Carver sah seinen Sohn auffordernd an.
»Hör mal, wenn du es nicht ausprobierst, wird dieses Fahrrad wieder Schmutz ansetzen und sich in ein Fossil verwandeln.«
»Das ist es doch jetzt schon«, sagte Max, stieg aber trotzdem auf und machte den ersten Tritt in die Pedale dieses Fahrrads, das Jacob Fleischmann niemals hatte einweihen können.
Max radelte den Strandweg entlang auf das Dorf zu, an einer langen Reihe von Häusern vorbei, die alle so ähnlich aussahen wie der neue Wohnsitz der Carvers. Die Häuserreihe mündete in den Eingang der kleinen Bucht, wo der Fischerhafen war. Es lagen kaum mehr als vier oder fünf Schiffe dort, die an den alten Molen ankerten.
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