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Der Fürst des Nebels

Der Fürst des Nebels

Titel: Der Fürst des Nebels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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er den Zaun des hinteren Hofs erreicht hatte. Als er dann zurücksah, war der Skulpturengarten im Nebel versunken.
    Der Duft von Butter und Toast erfüllte die Küche. Alicia sah ohne Appetit auf ihr Frühstück, während Irina ihrer frisch adoptierten Katze ein wenig Milch in eine Schüssel goß, die das Tier aber unberührt stehenließ. Offenbar mag sie andere Dinge lieber als Milch, dachte Max bei sich und dachte an sein Erlebnis vom Tag zuvor. Sein Vater hielt eine dampfende Tasse Kaffee in den Händen und betrachtete beschwingt seine Familie.
    »Heute morgen habe ich zuerst einmal den Schuppen durchforscht«, sagte er in seinem »Gleichkommt-ein-Geheimnis«-Tonfall, den alle in der Familie gut kannten. Er wünschte sich dann, gefragt zu werden, was er ausfindig gemacht hatte. Max durchschaute die Strategien des Uhrmachers so gut, daß er sich manchmal fragte, wer hier der Vater und wer der Sohn war. Trotzdem ließ er sich auf das Spiel ein.
    »Und was hast du gefunden?«
»Du wirst es nicht glauben«, erwiderte sein Vater.
    »Zwei Fahrräder.«
Max hob fragend die Augenbrauen.
»Sie sind ziemlich alt, aber mit ein bißchen Schmiere an der Kette können sie zu zwei Rennflitzern werden«, erklärte Maximilian Carver. »Und da war noch etwas anderes. Wetten, daß ihr nicht erratet, was ich außerdem in dem Schuppen gefunden habe?«
»Einen Ameisenbär«, murmelte Irina beiläufig und streichelte dabei weiter ihre Katze. Obwohl sie erst acht Jahre alt war, wußte sie schon genau, wie sie ihrem Vater das Spiel verderben konnte.
    »Nein«, erwiderte der Uhrmacher sichtlich verärgert. »Will keiner sich aufraffen und raten?«
Max beobachtete aus den Augenwinkeln seine Mutter, die aufmerksam zugehört hatte und nun ihrem Mann, der ganz offensichtlich dabei war, Schiffbruch zu erleiden, zur Hilfe eilte.
»Ein Fotoalbum?« schlug sie in ihrem lieblichsten Tonfall vor.
»Fast, fast«, erwiderte der Uhrmacher, wieder ermuntert. »Max?«
Seine Mutter blinzelte ihm zu. Max nickte.
»Ich weiß nicht. Ein Tagebuch?«
»Nein. Alicia?«
»Ich gebe auf«, antwortete Alicia geistesabwesend.
»Gut, gut. Paßt auf«, begann Maximilian Carver. »Was ich gefunden habe, ist ein Projektor. Ein Filmprojektor. Und eine Schachtel voller Filme.«
»Was für Filme?« unterbrach ihn Irina neugierig und hob zum ersten Mal seit einer Viertelstunde den Blick von ihrer Katze.
Maximilian Carver zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß nicht. Filme eben. Ist das nicht faszinierend? Wir haben ein Heimkino.«
»Aber nur, wenn der Projektor funktioniert«, sagte Alicia.
»Danke für deinen Zuspruch, liebe Tochter, aber ich erinnere dich daran, daß dein Vater sich seinen Lebensunterhalt mit dem Reparieren von defekten Geräten verdient.«
Andrea Carver legte beide Hände auf die Schultern ihres Mannes.
»Es freut mich sehr, das zu hören, Señor Carver«, sagte sie. »Es wäre nämlich angebracht, daß sich irgend jemand einmal mit dem Kessel im Keller unterhält.«
»Überlaß ihn ruhig mir«, erwiderte der Uhrmacher und erhob sich vom Tisch.
Auch Alicia stand auf.
»Halt, Señorita«, wandte Andrea Carver ein, »zuerst das Frühstück. Du hast es nicht angerührt.« »Ich habe keinen Hunger,«
»Ich werde es essen«, schlug Irina vor.
Doch Andrea Carver hielt absolut nichts von diesem Vorschlag.
»Sie will nicht dick werden«, flüsterte Irina ihrer Katze hämisch zu.
»Ich kann nicht essen, wenn dieses Vieh da mit dem Schwanz herumwedelt und Haare fallen läßt«, fiel ihr Alicia ins Wort.
Irina und die Katze sahen sie verächtlich an.
»Zimperliese«, urteilte Irina und ging mit dem Tier auf den Hof hinaus.
»Warum läßt du sie immer ihren Willen durchsetzen? Als ich so alt war wie sie, hast du mir nicht mal die Hälfte von all dem durchgehen lassen«, protestierte Alicia.
»Laß uns nicht wieder damit anfangen, ja?« sagte Andrea Carver mit ruhiger Stimme.
»Ich habe nicht damit angefangen«, erwiderte Alicia.
»Ist gut. Es tut mir leid.« Andrea Carver streichelte leicht über Alicias langes Haar, diese jedoch wich der versöhnlichen Liebkosung aus und drehte den Kopf weg. »Aber iß das Frühstück auf. Bitte.«
In diesem Moment ertönte ein metallisches Krachen unter ihren Füßen. Sie sahen sich gegenseitig an.
»Euer Vater in Aktion«, murmelte Andrea Carver und trank den letzten Schluck Kaffee aus.
Schließlich begann Alicia doch, an ihrem Toast zu kauen, während Max versuchte, das Bild jener ausgestreckten Hand aus seinem Kopf zu
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