Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der fünfte Mörder

Titel: Der fünfte Mörder
Autoren: Wolfgang Burger
Vom Netzwerk:
Sprache. Vermutlich war sie nicht annähernd so schön gewesen, wie sie in seiner Erinnerung über die Jahre geworden war. Er war nicht anklagend gewesen, dieser Blick, nicht flehend oder bettelnd, sondern einfach nur verständnislos, das wiederholte Geldorf wieder und wieder und wieder.
    Es war unverkennbar: Der fünfte Mörder hatte sich in der Zehntelsekunde, bevor er abdrückte, in sein Opfer verliebt. Oder vielleicht auch erst in den Wochen danach. Und ihr Blick würde ihn vermutlich bis zum Ende seines Lebens nicht mehr loslassen.

    Als ich zur Direktion zurückkehrte, legte mir Balke zwei Urlaubsanträge vor.
    Â»Wir werden ein bisschen wegfahren, haben wir überlegt, nach dem ganzen Stress.«
    Â»Genehmigt«, sagte ich und unterschrieb, ohne hinzusehen. »Wo geht’s hin?«
    Â»Wissen wir noch nicht. Nach Bulgarien vielleicht.«
    Â»Mit dem Auto oder mit dem Flugzeug?«
    Â»Mit den Bikes natürlich«, erwiderte Balke belustigt. »Bei diesem Wetter, ein Traum!«
    Menschen träumen von höchst unterschiedlichen Dingen.
    Evalina Krauss hatte eine Betreuung durch unsere Psychologen abgelehnt. Zwingen konnte ich sie zu nichts. Deshalb würde ihr der Urlaub sicherlich doppelt guttun. Weg von allem, zusammen mit dem Mann, der sie liebte und den sie liebte.

36
    Nun ging es ans Aufräumen. Die Sonderkommission »Tunnel« wurde aufgelöst, Papierberge wurden sortiert, gelocht, abgeheftet, Notizen ins Reine geschrieben.
    Und dann hieß es warten.
    Warten darauf, dass Schivkov aus der Deckung kam, um seine Beute zu holen, und sich dabei erwischen ließ. Warten darauf, dass einem Bauern beim Pflügen seines Feldes etwas merkwürdig vorkam, dass der Hund eines Spaziergängers nicht aufhören wollte, an einer bestimmten Stelle zu scharren und zu bellen, dass spielende Kinder in einem abbruchreifen Haus Dinge fanden, die dort nicht hingehörten.
    Ich wartete Tage, ich wartete Wochen, und nichts geschah. Elisaveta Lebedeva ging ihren Geschäften nach. Jakob Geldorf wurde aus der Klinik entlassen und, auf seinem Krankenbett sitzend, in U-Haft genommen.
    Jeder Polizist Europas kannte inzwischen Anton Schivkovs kantiges Gesicht und vermutlich auch jeder russische Mafioso Deutschlands. Die bulgarischen Kollegen schworen jeden Eid, man fahnde mit allen verfügbaren Kräften nach ihm. Aber die Wälder des Balkans sind groß und einsam und ihre Bewohner nicht gerade als geschwätzig verschrien.
    Klara Vangelis wurde mit jedem Tag runder und umgänglicher.
    Sven Balke und Evalina Krauss kehrten braun gebrannt aus ihrem Urlaub zurück. Sie hatten Bulgarien nicht ganz erreicht, sondern sich nach einer Tour die Donau hinab am Plattensee ein paar entspannte Tage gegönnt.
    Außerdem gab es neue Fälle zu bearbeiten.
    Währenddessen stand das Bella Napoli verlassen da, mit wegen akuter Einsturzgefahr vernagelten Türen, und starrte mit dunklen Fensterhöhlen, immer noch fassungslos über das, was ihm zugestoßen war.
    Die herrenlose Immobilie wurde allmählich zum Problem. Dobrev, der rechtmäßige Besitzer, war tot, seine Frau ebenfalls. Weitere Erben waren nicht greifbar, und so wusste die Stadtverwaltung nicht einmal, wohin sie die Einschreiben schicken sollte, in denen sie den Abriss oder Wiederaufbau der Ruine forderte.
    Die Russen hatten vermutlich längst neue Schließfächer in anderen Bankfilialen angemietet, die sich allmählich mit Reichtümern füllten. Die Bank würde den Verlust ihrer achtzigtausend Euro verschmerzen. In diesen Kreisen hatte man sich in den vergangenen Jahren an Defizite anderer Größenordnungen gewöhnt. Und wen interessierte es im Grunde, dass eine Ganovenbande eine andere um einen Teil ihres illegalen Eigentums erleichtert hatte?
    Manch einer meiner Mitarbeiter rechnete vermutlich heimlich nach, welche Summe Schivkov den deutschen Steuerzahlern erspart hatte, indem vier Mördern nicht der Prozess gemacht werden musste und diese nicht jahrelang im Gefängnis auf Staatskosten durchgefüttert werden mussten.
    In den Tagen nach dem Bankraub und drei Wochen später noch einmal hatten Hundertschaften der Bereitschaftspolizei den Wald rund um den ausgebrannten Pritschenwagen abgesucht. Sie hatten vieles gefunden, unter anderem einen kleinen Tresor, der vor Jahren bei einem Villeneinbruch in Mosbach verschwunden war, Unmengen Müll und sogar Reste einer menschlichen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher