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Der fuenfte Berg

Der fuenfte Berg

Titel: Der fuenfte Berg
Autoren: Coelho
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Gottes als eine Entschuldigung für ihr unnützes Leben und vergaßen, daß er zu Mose auch gesagt hatte: »Der Herr, dein Gott segnet dich in deinem Lande, das Er dir als Erbe gibt, damit du es besitzest.«
    »Ja, ich erinnere mich an diese Frau. Sie hatte recht. Ich liebte meine Arbeit in der Tischlerwerkstatt. Jeder Tisch, den ich baute, jeder Stuhl, den ich mit Schnitzwerk versah, ließen mich das Leben verstehen und lieben - obwohl ich es erst jetzt begreife. Sie sagte, ich würde mit den Dingen sprechen, die ich herstellte, und mich wundern, wenn ich sehen würde, daß die Tische und die Stühle fähig waren zu antworten, weil ich in sie das Beste meiner Seele hineinlegte - und ich würde als Gegenleistung die Weisheit erlangen.«
    »Hättest du nicht als Tischler gearbeitet, wärest du auch nicht fähig gewesen, deine Seele aus dir heraustreten zu lassen, dir vorzustellen, du seist ein sprechender Rabe, und zu begreifen, daß du besser und weiser bist, als du denkst«, war die Antwort. »Weil du im Tischlern das Heilige entdeckt hast, das überall ist.«
    »Es hat mir schon immer gefallen, so zu tun, als spräche ich mit den Tischen und Stühlen, die ich baute. Ist das nicht ausreichend? Die Frau hatte recht, denn wenn ich mit ihnen
    sprach, kam ich auf Gedanken, die mir nie zuvor in den Sinn gekommen waren. Doch als ich begriff, daß ich Gott auf diese Weise dienen könnte, da erschien der Engel, und ich... nun ja - das Ende der Geschichte kennst du.«
    »Der Engel ist erschienen, weil du für ihn bereit warst«, entgegnete der Rabe.
    »Ich war ein guter Tischler.«
    »Das war Teil deiner Lehrzeit. Wenn ein Mensch seinem Schicksal entgegengeht, muß er häufig die Richtung wechseln. Manchmal sind die äußeren Umstände stärker und er muß feige nachgeben. Das alles gehört mit zur Lehrzeit.«
    Elia hörte seiner Seele aufmerksam zu.
    »Doch niemand darf aus den Augen verlieren, was er wirklich will. Selbst wenn er manchmal glaubt, die Welt und die anderen seien stärker. Das Geheimnis ist, nicht aufzugeben.«
    »Ich wollte nie ein Prophet sein«, sagte Elia.
    »Das wolltest du schon, aber du warst überzeugt, es sei unmöglich oder gefährlich, undenkbar.«
    »Warum sage ich mir Dinge, die ich nicht hören will?« rief Elia und erhob sich abrupt.
    Erschrocken flog der Vogel davon.
    Der Rabe kehrte am nächsten Morgen zurück. Anstatt das Gespräch wieder aufzunehmen, beobachtete ihn Elia, denn das Tier hatte immer etwas zu essen und ließ ihm immer irgendwelche Reste da.
    Eine geheimnisvolle Freundschaft entwickelte sich zwischen ihnen, und Elia begann den Vogel zu beobachten und von ihm zu lernen. Wenn es diesem gelang, in der Wüste Eßbares zu finden, dann würde er auch einige Tage überleben können. Wenn der Rabe seine Kreise zu fliegen begann, dann wußte er, daß Beute in der Nähe war, und lief hin und versuchte sie zu fangen. Anfangs entwischten ihm die kleinen Wüstentiere regelmäßig, doch mit der Zeit stellte er sich geschickter an, benutzte Zweige als Speere, grub Fallen, die er unter einer feinen Schicht Kiesel und Sand verbarg. Wenn die Beute dort hineinfiel, teilte Elia sie mit dem Raben und behielt ein Stückchen als Köder übrig.
    Doch die Einsamkeit lastete auf ihm, und er nahm das >Gespräch< mit dem Vogel wieder auf.
    »Wer bist du?« fragte er den Vogel.
    »Ich bin ein Mann, der Frieden gefunden hat«, antwortete Elia. »Ich kann in der Wüste leben, selbst für mich sorgen und die unendliche Schönheit von Gottes Schöpfung betrachten. Ich habe herausgefunden, daß ich eine Seele in mir habe, die besser ist, als ich dachte.«
    Die beiden jagten noch mehr als einen Mond lang zusammen. Als eines Nachts seine Seele von Trauer erfüllt war, beschloß er erneut zu fragen:
    »Wer bist du?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Ein weiterer Mond starb und wurde am Himmel wiedergeboren. Elia fühlte, daß sein Körper jetzt stärker war, sein Geist klarer. In dieser Nacht wandte er sich an den Raben, der wieder auf seinem gewohnten Zweig saß. Und er wiederholte die Frage, die er vor einiger Zeit schon einmal gestellt hatte.
    »Ich bin ein Prophet. Ich habe einen Engel gesehen, während ich arbeitete, und ich kann nicht an dem zweifeln, was ich zu tun in der Lage bin, selbst wenn die Menschen das Gegenteil behaupten. Ich habe ein Massaker in meinem Land hervorgerufen, weil ich die Geliebte meines Königs herausgefordert habe. Ich bin in der Wüste - wie ich vorher in einer Tischlerwerkstatt war -,
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