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Der fuenfte Berg

Der fuenfte Berg

Titel: Der fuenfte Berg
Autoren: Coelho
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er in der Falle saß.
    Morgen würde er umkehren und sich stellen, auch wenn seine Todesangst wiederkam.
    Umsonst versuchte er sich mit dem Gedanken zu trösten, daß ihm immerhin noch ein paar Stunden zu leben blieben. Er entdeckte, daß der Mensch kaum je die Macht hat, eine freie Entscheidung zu fällen.
    Elia wachte am nächsten Tag auf und blickte wieder auf den Bach Krith.
    Morgen oder in einem Jahr würde dieser nur ein Weg aus feinem Sand und runden Steinen sein. Die alten Bewohner würden diesen Ort weiterhin Krith nennen und vielleicht jemandem, der nach dem Weg fragte, sagen: »Das liegt bei dem Bach, der hier vorbeifließt.« Die Reisenden würden sich dort hinbegeben und nur die runden Steine und den feinen Sand sehen und sich sagen: »Hier war einmal Wasser.« Doch das Wichtigste an einem Bach, sein Wasser, wäre nicht mehr da, um den Durst zu stillen.
    Wie die Bäche und die Pflanzen brauchten auch die Seelen eine Art von Regen: die Hoffnung, den Glauben, einen Grund, zu leben. Wenn es dies nicht mehr gab, dann starb
    alles in dieser Seele, obwohl der Körper weiterhin lebte. Und die Leute konnten sagen: »Hier in diesem Körper wohnte einmal ein Mensch.«
    Es war jetzt nicht der Zeitpunkt, darüber nachzusinnen. Er erinnerte sich abermals an das Gespräch mit dem Leviten, kurz bevor sie gemeinsam den Stall verlassen hatten. Wozu so viele Tode sterben, wenn ein einziger genügte? Er brauchte nur auf Isebels Soldaten zu warten. Kommen würden sie zweifellos, denn es gab nicht viele Orte, wohin man sich aus Gilead flüchten konnte. Die Übeltäter gingen in die Wüste - und wurden dann dort wenige Tage später tot aufgefunden. Oder sie gingen zum Bach Krith, wo sie am Ende immer gefangen wurden.
    Also würden die Soldaten bald kommen. Und er würde froh sein, sie zu sehen.
    Er trank ein wenig vom kristallklaren Wasser, das neben ihm dahinfloß. Er wusch sein Gesicht und suchte einen Schatten, um dort seine Verfolger zu erwarten. Ein Mensch kann nicht gegen sein Schicksal ankämpfen - und er, Elia, hatte bereits gekämpft und verloren.
    Obwohl die Priester ihn einen Propheten nannten, hatte er beschlossen, als Tischler sein Leben zu bestreiten. Doch der Herr hatte ihn wieder auf seinen Weg zurückgeführt.
    Er war nicht der erste, der versuchte, sich der Bestimmung zu entziehen, die Gott für jeden Menschen auf Erden bereithielt. Einem Freund von ihm, der eine großartige Stimme hatte, verboten die Eltern, Sänger zu werden, weil dieser Beruf seine Familie entehrt hätte. Eine seiner Jugendfreundinnen war eine begnadete Tänzerin; doch ihre Familie hatte ihr das Tanzen untersagt, aus Angst, der König würde sie zu sich in den Palast rufen; das Leben bei Hofe galt als sündig und machte jede Hoffnung auf eine gute Heirat zunichte.
    »Der Mensch wurde geboren, um sein Schicksal zu verraten.« Gott gab den Herzen nur unmögliche Aufgaben.
    »Warum?«
    Vielleicht weil die Tradition aufrechterhalten werden mußte.
    Doch das war keine gute Antwort. »Die Bewohner Libanons sind weiter als wir, weil sie die Tradition der Seefahrer fortgeführt haben. Als alle Welt nur ein und denselben Schiffstyp benutzte, hatten sie beschlossen, etwas ganz anderes zu bauen. Viele verloren auf See ihr Leben, doch die Schiffe wurden verbessert, und nun beherrschen die Phönizier weltweit den Handel. Sie haben einen hohen Preis bezahlt, um sich anzupassen, doch es hat sich gelohnt.«
    Vielleicht verriet der Mensch sein Schicksal, weil Gott nicht näher war. Er hatte in die Herzen Träume gelegt, die einer Zeit entstammten, in der alles möglich war, und hatte sich dann um andere Dinge gekümmert. Die Welt veränderte sich, das Leben wurde schwieriger, doch die Träume der Menschen wurden nicht entsprechend angepaßt.
    Gott war fern. Wenn er die Engel schickte, damit sie mit seinen Propheten sprachen, dann nur, weil es hier noch etwas zu tun gab. Was wäre dann die Antwort?
    »Vielleicht haben unsere Eltern sich geirrt und fürchteten, wir würden dieselben Fehler machen. Oder vielleicht haben sie sich auch nie geirrt und wissen nicht, wie sie uns helfen können, wenn wir ein Problem haben.«
    Er fühlte, daß er der Antwort ganz nahe war.
    Der Bach floß neben ihm dahin, einige Raben kreisten am Himmel, Pflanzen wuchsen unbeirrbar aus dem sandigen, sonst unfruchtbaren Boden. Was hätten wohl ihre Ahnen gesagt?
    »Bächlein, suche dir einen besseren Ort, um in deinem klaren Wasser die Helligkeit der Sonne widerzuspiegeln, denn die
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