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Der Fuenf-Minuten-Philosoph

Der Fuenf-Minuten-Philosoph

Titel: Der Fuenf-Minuten-Philosoph
Autoren: Gerald Benedict
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steckt, und kein Mann groß und mächtig, der nicht Herr seiner selbst ist.«
    Seneca der Jüngere (ca. 3 v.   Chr. – 65 n.   Chr.)
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    Woran erkennen wir dann, dass eine Person nicht nur ein fundiertes Wissen, sondern auch echte Weisheit besitzt? Wenn jemand tiefgründige Gedanken äußert oder klugen Rat erteilt, wissen wir noch nicht, ob er beständig weise ist. Um darauf zu vertrauen, braucht es eine Beziehung, wie sie zwischen Schüler und Lehrer oder Anhänger und Guru herrscht. Dann entdecken wir, dass Weisheit aus weitreichendem Wissen und vielfältiger Erfahrung erwächst. Weisheit beruht nicht nur auf rationalen Fähigkeiten und Intelligenz, sondern auch auf Gefühlen, einem Willen und Spiritualität. Aber ihr Fundament bildet stets das Wissen. Doch erkennt nur der weise Zuhörer, dass er Weises hört, wie der amerikanische Schriftsteller und Journalist Walter Lippmann (1889–1974) bemerkte: »Es erfordert Weisheit, Weisheit zu verstehen: Musik nutzt nichts, wenn das Publikum taub ist.«

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DAS ICH
    »Dies über alles: sei dir selber treu,
Und daraus folgt so wie die Nacht dem Tage,
Du kannst nicht falsch sein gegen irgendwen.«
    William Shakespeare (1564–1616), Hamlet I,3, 78–82
    »Wer saß nicht bang
vor seines Herzens Vorhang?«
    Rainer Maria Rilke (1875–1926), Duineser Elegien

W er bin ich?
    Ein naheliegender Ansatz zur Beantwortung dieser Frage sind Nachforschungen zu unserer Abstammung und unserer Familiengeschichte: also die Art Recherche, wie sie im englischsprachigen Raum in der beliebten Fernsehserie ›Who Do You Think You Are‹ angestellt wird. Von wem wir genetisch abstammen, sehen wir gewöhnlich auch so: Wir schlagen unserem Vater oder unserer Mutter nach, und Geschwister weisen Ähnlichkeiten auf, die über Generationen hinweg als die typischen Züge einer Familie weitervererbt werden. Doch geht die Frage nach dem Ich über diejenige nach der Herkunft und dem Erbgut hinaus. Wer ich bin, das bestimmen auch meine Umwelt, meine Erziehung und meine Beziehungen.
    Das Thema Identität knüpft sich eng an Selbsterkenntnis. Wir definieren uns anhand dessen, was wir über uns selbst wissen, wobei auch die Frage, wie andere uns wahrnehmen, einen Beitrag leistet. Als der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer auf seine Hinrichtung durch die Nazis wartete, schrieb er ein Gedicht mit dem Titel: ›Wer bin ich?‹ Noch im Wehrmacht-Untersuchungsgefängnis wirkte er auf andere wie ein Mann, der mit sich selbst im Reinen war. Aber während er seinen Wärtern freundlich und gefasst begegnete, litt er im Innersten Qualen aus Sorge um sein Schicksal und das seiner Freunde. Sein Gedicht wirft die Frage auf, ob unser Wissen über uns selbst das widerspiegelt, was andere über uns sagen, oder »nur das, was ich selbst von mir weiß«. Als begeisterter Anhänger Luthers kannte Bonhoeffer nur eine Gewissheit: dass er Gott gehöre.
    Unser Name sagt nichts über uns aus. Er ist nur ein Etikett, das einer Person anhaftet: Wenn wir uns vorstellen mit »Ich bin der David« oder »Ich bin die Maria« geben wir anderen nur einen nützlichen Bezugspunkt. Ebenso beschreibt unsereberufliche Tätigkeit nur, womit wir unser Geld verdienen. Dass jemand »Geschäftsinhaber« oder »Arzt« ist, weist auf die Aufgaben hin, die er erfüllt, sagt über ihn als Person aber nichts Wesentliches aus. Auch können wir uns anhand aller unserer Lebenserfahrungen zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht wirklich definieren. Wer bin ich? »Ich bin tibetischer Buddhist«, sagt etwas über einen. »Ich bin in England aufgewachsen«, sagt noch mehr. »Ich lebe jetzt in Deutschland« fügt dem Puzzlebild ein weiteres Teil hinzu. Aber mehr haben wir auch nicht: eben nur ein Bild.
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    »Andere erkennen, ist Weisheit, sich selbst erkennen, ist Erleuchtung.«
    Laozi (um 570 – um 490 v.   Chr.)
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    Um die Frage nach dem Ich zu beantworten, müssen wir mehr betrachten als den Körper und seine Lebensumstände. Für manche zielt sie im Kern auf den Geist und/oder auf die Seele. Sind beide, wie von René Descartes vertreten, getrennte Entitäten oder nur die beiden grundverschiedenen Aspekte von ein und demselben Wesen? In seiner ›Meditation   XVII‹ schrieb der englische Dichter John Donne (1572–1631): »Niemand ist eine Insel, in sich ganz …« Sicher ist nur, dass sich die Frage »Wer bin ich?« nur im Zusammenhang mit unseren Beziehungen zu anderen erschließt. Wie der österreichisch-israelische
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