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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman
Autoren: John Boyne
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sehen. Sie hatte Angst, dass er sie nun hasste, doch dann endlich wanderte ihr Blick zu ihm, und sie sah sein Lächeln. Sein Verständnis. Seine Dankbarkeit.
    »Ist schon gut«, sagte er. »Ich habe es die ganze Zeit gewusst.«
    »Woher?«, fragte sie und schnappte nach Luft. »Wie bist du dahintergekommen?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Cora und ich waren lange verheiratet«, sagte er, »und du und ich, wir haben so viele Jahre in der Apotheke zusammengearbeitet. Glaubst du nicht, ich kenne den Unterschied zwischen euren Handschriften?«
    »Ich verstehe nicht«, sagte sie und spürte, wie ihr die Beine schwach wurden.
    »Der Brief, Ethel«, sagte er. »Der Brief, vorgeblich von Cora, in dem sie mir mitteilte, sie werde mich verlassen. Ich wusste, dass du ihn geschrieben hattest. Die ganze Zeit habe ich es gewusst.«
    »Aber du hast nie etwas gesagt.«
    »Weil ich hoffte, du würdest es mir von dir aus erzählen. Ich hoffte, du würdest mir genug trauen. Jetzt
sage
ich dir, dass du es kannst.«
    Ethel schluckte. Er hatte es die ganze Zeit gewusst und für sich behalten? Es war unglaublich. »Seit wann?«, fragte sie endlich und setzte sich aufs Bett, um nicht zusammenzubrechen. »Seit wann genau weißt du es?«
    »Seit dem ersten Abend, als ich bei dir geblieben bin, dem Abend, als du sie umgebracht hast. Ich bin aufgewacht, als du weggingst, habe gesehen, wie du dich anzogst und den Mantel und den Hut nahmst, und als du am Schlafzimmer vorbeikamst, sah ich auch den falschen Schnauzbart. Das war der erste Auftritt von Master Edmund Robinson, glaube ich. Wenn auch in einer älteren Version.«
    »Hawley, nein …«
    »Ich begriff nicht, was du vorhattest, also habe ich mich selbst schnell angezogen und bin dir gefolgt. Das Türschloss habe ich nicht einschnappen lassen, damit ich wieder hineinkonnte. Bis zum Hilldrop Crescent bin ich dir gefolgt und habe draußen gewartet. Ich sah, wie du noch auf der Straße ein Fläschchen herauszogst – es muss das Gift gewesen sein –, ganz offenbar dachtest du, niemand würde dich sehen. Ich begriff sofort, was du vorhattest, es war, als könnte ich deine Gedanken lesen.« Er neigte bedauernd den Kopf und setzte sich neben sie aufs Bett. »Ich wollte dich aufhalten«, sagte er, »aber gleichzeitig wollte ich, dass du es vollbrachtest. Ich wusste, nur so konnten wir zusammenkommen, und ich wusste auch, dass ich selbst niemals dazu fähig wäre.«
    Tränen strömten Ethel über das Gesicht. »Ich habe es für dich getan«, sagte sie. »Für uns.«
    »Ich weiß, und ich habe dich gelassen. Ich bin ebenso schuldig wie du.«
    »Aber du hast nie etwas gesagt.«
    »Ich hoffte, du würdest es mir von dir aus erzählen. An die Geschichte, Cora hätte mich verlassen, habe ich mich nur gehalten, weil ich darauf wartete, dass du mir die Wahrheit sagst. Inspector Dew habe ich belogen. Ich habe ihm gegenüber so getan, als wäre ich unschuldig, bin es aber nicht. Vielleicht war ich nicht der, der Cora getötet hat, Ethel, aber bei Gott, ich war so glücklich, sie tot zu sehen.«
    »Hasst du mich nicht?«
    »Wie könnte ich das?«
    »Wegen dem, was ich getan habe. Es ist so ungeheuerlich.«
    Hawley lachte. »
Sie
war das Ungeheuer«, sagte er und knirschte mit den Zähnen. »Sie hatte den Tod verdient. Ich dachte, du würdest vielleicht ahnen, dass ich Bescheid wusste.«
    »Nein.«
    »Wirklich, Ethel«, sagte er und neckte sie sanft, »die Sache mit der Hutschachtel. Das war schon etwas makaber, oder? Irgendwann dachte ich, ihr Kopf würde uns den Rest unseres Lebens begleiten.«
    Ethel starrte ihn an und spürte, wie sie erschauderte. Auch wenn sie die Mörderin war, die Cora Crippen zerstückelt und vergraben hatte, kam ihr Hawley plötzlich noch unheimlicher und unheilvoller vor. Sie hatte ein Verbrechen aus Leidenschaft begangen, um mit dem Mann zusammen sein zu können, den sie liebte. Sie hatte ihn vor der Wahrheit beschützt … und er hatte sie von Anfang bis Ende getäuscht und bewiesen, dass er ein noch besserer Lügner war als sie. Mit fast so etwas wie Amüsement hatte er ihren Schwindel verfolgt, so als wäre das Ganze kaum mehr als ein Spiel. Sie sah sich um, ob das Bullauge offen stand, weil es sich mit einem Mal anfühlte, als wäre die Kabine mit Eis gefüllt.
    »Ich weiß nicht, ob ich dich verstehe«, sagte sie nervös. »Wie konntest du dein Wissen so für dich behalten?«
    »Weil ich dich liebe, Ethel«, sagte er. »Und weil ich glaube, dass wir zusammen glücklich
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