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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen
Autoren: Barbara Wood
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siebzehnhundertfünfzig historische Stätten innerhalb der
Grenzen von vor 1967 auf. 1970 fanden auf Israels achttausend Quadratmeilen
mindestens fünfundzwanzig großangelegte Grabungen statt. Und ich beabsichtige,
mir ein Stück von diesem Kuchen abzuschneiden. Die Grabungsgenehmigung muß nun
bald kommen. Und dann geht’s ab nach Migdal mit meinem Spaten und meinem Eimer,
wie ein Kind, das zum Strand läuft.« Ben starrte lange auf das dritte Foto, auf
den formlosen Schreibstil, der dem religiöser Texte so ganz und gar nicht
ähnlich war, und er dachte bei sich: So hast du, David Ben Jona, dein kostbares
Testament in der Erde von Khirbet Migdal vergraben, und John Weatherby kam
daher und grub es aus.
    Aber natürlich kanntest du
den Ort damals nicht als Migdal. Zu deiner Zeit hieß die Stadt Magdala. Berühmt
für ihren Fisch, ihren Zirkus und für eine Frau namens Maria. Maria Magdalena.

 
    Kapitel Zwei
     
     
     
    Das dritte Teilstück ließ
sich nicht so leicht lesen wie die ersten beiden, denn hier und da waren die
Ränder des Papyrus eingerissen, und ganze Sätze wurden mitten im Wort
abgebrochen. An mehreren Stellen war die Tinte in die kleinen Zwischenräume der
Papyrusfasern gelaufen und hatte die Schrift verwischt. Ein weiterer Grund war,
daß dieser Ausschnitt bisher größtenteils aus einem langatmigen Gebet und einem
Segensspruch bestand. David Ben Jona war dabei vom Aramäischen zum Hebräischen
übergegangen und damit auch zu der gängigen Praxis, Vokale auszulassen. Ben
arbeitete die ganze Nacht hindurch, brütete über winzigen Bedeutungsnuancen und
versuchte, die unverständlichen Stellen mit Sinn zu füllen. Ben war ein wenig
enttäuscht. Er war es zwar gewohnt, Gebete und religiöse Abhandlungen zu
übersetzen – das war ja schließlich sein Beruf –, doch in diesem Fall hatte er
gehofft, daß die Magdala-Schriftrollen sich inhaltlich von allen bisher
gefundenen unterschieden. Und jetzt, da der Tagesanbruch nahte, fing Ben
allmählich an zu glauben, daß der alte Jude seinem Sohn letzten Endes nichts
anderes hinterlassen habe als das übliche hebräische Vermächtnis – heilige
Worte.
    Auch war Ben über sich selbst
enttäuscht, weiter die Zeit der Entstehung von Davids Handschrift nicht genau
festlegen konnte. Einige Anhaltspunkte waren offensichtlich: die fehlenden
Ligaturen zwischen den Buchstaben (eine Entwicklung, die seit Mitte des ersten
Jahrhunderts zu beobachten war), die bekannte rechtwinklige aramäische
Handschrift, den hebräischen Buchstaben Alef, der so charakteristisch war, weil
er wie ein umgekehrtes N aussah. All diese Hinweise waren vorhanden, reichten
aber nicht aus, um sich endgültig auf einen bestimmten Zeitabschnitt
festzulegen. Es gab noch mehr zu übersetzen; ein paar Zeilen waren noch übrig,
aber Ben war zu müde, um sie in Angriff zu nehmen. Die Studenten seiner
Zehn-Uhr-Vorlesung erwarteten sicher, daß er mit ihnen ihre Arbeiten durchsehen
würde, und der Unterricht um zwei Uhr würde eine engagierte Diskussion zum
Gegenstand haben. Für beides mußte er vorbereitet sein.
    Mit einer Mischung aus
Widerstreben und Erleichterung steckte er daher die Fotos in den Umschlag
zurück und beschloß, sie bis zum Wochenende warten zu lassen. Bis dahin müßte
er mit dem alexandrinischen Kodex fertig sein.
     
     
    Benjamin Messer war Professor
für Orientalistik an der Universität von Kalifornien in Los Angeles und gab
drei Unterrichtsfächer: Alt- und Neuhebräisch, die Deutung von hebräischen
Manuskripten und altorientalische Sprachen. Wenn er nicht gerade mit der Übersetzung
von alten Papyri oder einer antiken Inschrift beschäftigt war, wies er jeden,
der sich interessiert zeigte, in die Grundlagen seines Fachgebietes ein.
    Nachdem er den Unterricht in
der Frühe noch ganz gut bewältigt hatte, begann er während des Nachmittagsseminars
allmählich die Auswirkungen seiner schlaflosen Nacht zu spüren. Es war sein
Kurs in Neu- und Althebräisch, den sechzehn fortgeschrittene Studenten belegt
hatten, die im Halbkreis um ihn herum saßen und an diesem Dienstagnachmittag
nicht umhin konnten, eine gewisse Zerstreuung bei ihrem Professor
festzustellen.
    »Dr. Messer, sind Sie nicht
der Ansicht, daß die Entwicklung der mündlichen Überlieferung sich stärker auf
die Sprachentwicklung auswirkte als die schriftliche?« Der Kursteilnehmer, von
dem dieser Beitrag kam, blickte Ben hinter seinen dicken Brillengläsern fragend
an. Er studierte Sprachwissenschaft als
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