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Der Fluch der Makaá

Der Fluch der Makaá

Titel: Der Fluch der Makaá
Autoren: Ulrike Talbiersky
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fremde Stimme in vertrauenswürdigem Ton.
    „Also gut, ich erzähle es Ihnen, aber Sie müssen mir versprechen, es niemandem weiterzusagen!“
    „Hoch und heilig!“
    „Schön. Es darf nämlich noch niemand erfahren, weil es noch nicht wirklich feststeht – mein Papa und meine Mama untersuchen es gerade – aber ich glaube, ich weiß es bereits: Das Bild ist eine Fäl…“
    „Oliver! Komm sofort her!“, rief ich mit scharfem Ton. Plötzlich war ich wieder in der Realität. Alarmiert schleuderte ich das Buch weg, das mich gefährlich tief in seinen Bann gezogen hatte, und hastete zu der Liege auf der anderen Seite des Pools, wo sich mein kleiner Bruder quietschfidel mit der Frau im roten Bikini unterhielt. Ich packte Oliver unsanft am Arm und kniff ihn noch einmal absichtlich in die Seite, damit er auch ja verstand, dass er gerade dabei war großen Unsinn zu verzapfen.
    „Es tut mir leid, dass mein Bruder Sie gestört hat. Ich werde ihn künftig besser im Auge behalten“, erklärte ich der Frau freundlich und zerrte Oliver mit festem Griff mit.
    Wieso hatte Robert nicht besser aufgepasst? Wo steckte er überhaupt? Aber am meisten war ich wütend auf mich selbst. Ich war schließlich die Älteste und hatte damit auch die Verantwortung für uns Geschwister.
    „Weißt du, wo Robert ist?“, zischte ich Oliver zu, der ganz empört zu mir aufsah und überhaupt nicht verstand, was ich von ihm wollte. „Er ist kurz aufs Zimmer gegangen. Ich glaube, er wollte seinen Block holen“, sagte er.
    „Und du hast gleich nichts Besseres zu tun gehabt, als diese Frau zu stören und Papas Geheimnisse mit aller Welt zu teilen?“, schimpfte ich leise.
    Oliver wurde rot bis zu den Haarwurzeln. Endlich hatte er kapiert, was Sache war, dieses kleine Plappermaul.
    „Ich habe die Frau doch gar nicht gestört“, widersprach er kleinlaut, „und ich habe nicht wirklich etwas erzählt.“
    „Aber so gut wie! Jeder mit ein bisschen Verstand kann sich zusammenreimen, was du fast gesagt hättest! Achte das nächste Mal einfach ein bisschen mehr auf deine Zunge!“, riet ich ihm.
    „Aber die Frau war nett“, verteidigte sich Oliver, „und sehr hübsch!“ Ohne zu antworten, drückte ich ihn auf die Liege neben mich und schwor mir, ihn von dort nicht mehr wegzulassen – „Man sollte dich wirklich an die Leine legen“ – als mir plötzlich jemand leicht auf die Schulter tippte. Überrascht fuhr ich herum und blickte direkt in das sonnengebräunte Gesicht der Frau im roten Bikini. „Ich möchte mich wirklich nicht einmischen“, fing sie freundlich lächelnd an, „aber ich denke, Sie schimpfen mit dem jungen Mann zu Unrecht. Er hat mich kein bisschen gestört, ganz im Gegenteil: wir haben uns sehr nett unterhalten. Nur ist mir leider nicht entgangen, dass ich etwas erfahren habe, was offensichtlich nicht für meine Ohren bestimmt war. Aber seien Sie ganz unbesorgt“ – an dieser Stelle nahm sie die getönte Sonnenbrille ab und schaute mich mit warmen Augen eindringlich an – „ich weiß doch, wie Kinder sind, und ich wäre ganz sicher die letzte, die einen kleinen Jungen enttäuschen würde. Ich kann schweigen wie ein Grab. Außerdem: Haben wir nicht alle unsere kleinen Geheimnisse?“
    Ach ja? , dachte ich. Doch ich fühlte mich durch die direkte Ansprache etwas überrumpelt – schon allein aufgrund der Tatsache, dass die Frau mich für erwachsen genug hielt, um mich zu siezen – und suchte noch nach passenden Worten.
    „Siehst du“, wisperte Oliver unterdessen und stupste mich mehrfach in die Seite. „Siehst du, wie nett sie ist? Ich hab’s dir doch gesagt!“ Die Frau in Rot lächelte noch breiter. „Ja“, sagte ich und lächelte zurück. „Also schön. Dann wäre das ja geklärt“, nickte sie und machte kehrt. Stopp , dachte ich, während sich meine Gedanken überschlugen: „Was ist denn Ihr kleines Geheimnis?“
    Die Worte waren ausgesprochen, bevor ich es verhindern konnte. Da half es auch nicht, mir nachträglich auf die Zunge zu beißen. Wie indiskret von mir! Nachdenken, Melanie – erst nachdenken – dann sprechen! Wie oft noch? Es war aber keine Zeit zum Nachdenken , verteidigte ich mich gegen meine innere Stimme. Und im Nachhinein, was ist so schlimm an der Frage? Gut, sie ist persönlich und dreist, aber es war genau das, was mich beschäftigt hatte, seit dieser Satz gefallen war: Haben wir nicht alle unsere kleinen Geheimnisse? Was für ein Geheimnis mochte diese Frau wohl haben, jemand, der so
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