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Der Fluch der Makaá

Der Fluch der Makaá

Titel: Der Fluch der Makaá
Autoren: Ulrike Talbiersky
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geht morgen um 9 Uhr 15 ab Frankfurt. Sie werden selbstverständlich vom Flughafen in Caracas abgeholt. Machen Sie sich keine Sorgen…“
    „Es ist aber so, dass…“
    „Wir zählen auf Sie und Ihre Gattin. Gracias! Muchas gracias! “
    „Wieso gracias ? Ich habe doch noch gar nicht…!“
    „ Buenas tardes, Se ñ or Feldmann.“ Es gab einen Klick in der Leitung und Rico hatte aufgelegt. „Buenas tardes , Rico“, murmelte mein Vater langsam. Offensichtlich wog er in Gedanken gerade zwei Optionen gegeneinander ab, und ich wusste schon jetzt, welche der beiden Priorität haben würde.
    „Toll!“, entfuhr es mir, und es gab einen zweiten Klick in der Leitung, als ich wütend den Hörer auf die Gabel donnerte.
    Als ich in mein Zimmer kam, saß mein Bruder Robert in rot kariertem Pyjama auf dem Drehstuhl vor meinem Schreibtisch und malte ein wenig auf dem Skizzenblock herum, den er wie einen Talisman stets bei sich trug.
    Was die künstlerische Seite anbelangte, so hatte Robert das meiste Talent von den Eltern mitbekommen. Oft saß er stundenlang über seinen Farbtöpfen, mischte deren Inhalt zusammen, probierte mit einer Engelsgeduld die unterschiedlichen Farbvariationen auf diversen Papiersorten aus und war kein bisschen traurig, wenn er seine Versuche schließlich dem Papierkorb übergab. Manchmal war sein braunes Haar mit roten, blauen und gelben Strähnen übersät, da er sich immer wieder mit den farbbespritzten Händen durch das Haar fuhr – eine Geste, die er unbewusst vollführte, wenn er in tiefen Überlegungen verharrte.
    „Und?“, fragte Robert bei meinem Eintreten und schaute erwartungsvoll zu mir hoch.
    „Und, was?“, entgegnete ich patzig. Innerlich war ich viel zu wütend, um mich um einen normalen Tonfall zu bemühen. Auch wenn es Robert gegenüber unfair war. Ich war stocksauer! Als ich dem prallen Koffer einen leichten Tritt versetzte, ließ Robert den Block sinken und legte den Kopf schief. Er hatte den gleichen gelassenen Ausdruck in den Augen und auch in der Stimme wie unser Vater. Es schien, als könne ihn nichts auf der Welt aus der Ruhe bringen, und wenn er eine Frage stellte, hatte man stets das Gefühl, er kenne die Antwort bereits. Robert war zwölf und damit drei Jahre jünger als ich. Doch trotz des Altersunterschiedes fühlten wir einander ebenbürtig.
    „Ach, komm schon, Melanie. Wir wissen doch, dass du Papa am Telefon belauscht hast!“, sagte Robert.
    „Wer ist wir ?“, fragte ich überrascht. Im selben Moment tauchte ein kleiner, blonder Wuschelkopf unter meiner Bettdecke hervor und strahlte über das ganze Gesicht. „Na, Robert und ich!“, lachte Oliver naseweis und verschwand wieder unter der Decke.
    Oliver war mit seinen acht Jahren der jüngste von uns Geschwistern und damit auch das Baby der Familie. Er durfte einfach alles. Wer konnte seinen kugelrunden, blauen Augen auch etwas abschlagen? Alle Schubladen hatte er als Kleinkind öffnen dürfen, von den untersten bis zu den obersten, und es war seine Freude von Anfang an gewesen, sich an sämtlichen hohen Gegenständen emporzuziehen und später auch auf sie zu klettern. Kein Baum, kein Schrank war vor ihm sicher, und da seine Kraxeleien stets mit mütterlicher Sorge verbunden waren, hatte meine Mutter ihm vor zwei Jahren erlaubt, dem Freeclimbing-Verein in unserer Stadt beizutreten. Dort konnte er sich nach Herzenslust austoben und war dabei stets unter Beaufsichtigung. Und tatsächlich war Oliver seither das glücklichste Kind, das man sich vorstellen kann.
    Ich setzte mich auf das Bett und piekste mit meinem Finger neckisch in die Beulen, die Olivers kleiner Körper in die Decke drückte, bis er sich vor Lachen wand wie ein kleiner Wurm.
    „Mel?“, hakte Robert nach. Ich war ihm noch eine Antwort schuldig. Seufzend hob ich die Schultern und schüttelte den Kopf. „Das wird nix mit dem Urlaub.“
    „Es wäre ja auch zu schön gewesen“, gab Robert zu, doch es lag nicht so viel Enttäuschung oder Ärger in seiner Stimme wie in meiner. Das war typisch für ihn. Er akzeptierte die Dinge so wie sie waren. Und nun nahm er mit einer Gelassenheit, um die ich ihn beneidete, zur Kenntnis, dass durch einen einzigen, kleinen Anruf unser ganzer Urlaub geplatzt war. Ich erzählte ihm grob, was ich von der Unterhaltung mitbekommen hatte, während Robert mit verständnisvoller Miene zuhörte und zu dem erstaunlichen Schluss kam, dass es notwendig war, dass die Eltern nach Venezuela flogen.
    „Nun ja, Papa hat nicht
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