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Der Fluch der Makaá

Der Fluch der Makaá

Titel: Der Fluch der Makaá
Autoren: Ulrike Talbiersky
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strotzt.“
    Sie gefallen mir trotzdem besser als die Wolkenkratzer, denn sie haben rote Dächer, sodass die Bergrücken aussehen wie grüne Meere betupft mit roten Blumen. Außerdem strahlen sie die Ruhe aus, die der Großstadt komplett verloren geht. Zwar war es bei unserer Ankunft noch heller Tag, doch selbst jetzt, nachdem die Sonne schon seit Stunden untergegangen ist, tönt der Straßenverkehr unvermindert zu uns hoch wie das Summen eines emsigen Bienenstockes, und ich denke nicht, dass er jemals verstummen wird.
    Klima: angenehmer als anfänglich gedacht, unter 30°C, leichter Wind aus Nordwest – die Frisur: sitzt…
    Daniel legte einen flotten Fahrstil an den Tag und nicht nur einmal war ich froh, dass ich mich angeschnallt hatte, auch wenn dies keine Pflicht in Venezuela ist – viele Autos haben nicht einmal Gurte!
    Der junge Venezolaner versuchte sich nebenbei als Touristenführer und wies hin und wieder auf eine Sehenswürdigkeit hin, an der wir mit einem Mordstempo vorbeidonnerten. „Das ist die Iglesia de S. Francisco… dort die Bibliotheka Nacional… die Casa Amarilla…“ Wir konnten gar nicht so schnell gucken, wie er daran vorbeibretterte, die Hupe stets im Einsatz, das offensichtliche Ziel: Schallmauer durchbrechen. „…Und dort hinten seht ihr das Centro Simón Bolívar…“, sagte er und meinte die Gruppe hoher Wolkenkratzer, die aus jedem Winkel Caracas’ zu sehen ist.
    „Wer ist Simón Bolívar?“, fragte Robert und fiel Daniel ins Wort, der gerade dabei war, auf eine weitere Kathedrale zu deuten. Unser Fahrer drehte sich spontan herum, ohne auf den Verkehr zu achten. „Was?“, fragte er verblüfft. „Ihr kennt den großen El Libertador nicht? Den Befreier?“ Wir Kinder schüttelten die Köpfe, während meine Mutter „Vorsicht!“, brüllte.
    Daniel ging in die Bremsen und kam einen Zentimeter vor dem nächsten Auto zu stehen. „Bolívar hat Venezuela aus der Kolonialherrschaft befreit!“, fuhr unser Chauffeur unbeeindruckt von dem kleinen Zwischenfall fort. „Er war ein großer Mann, gebildet, intelligent, und er konnte das Volk begeistern. 1819 war Bolívar schließlich auf dem Höhepunkt seiner triumphalen Laufbahn angelangt: er war Staatsmann und Identifikationsfigur des befreiten Venezuelas. Unser Volk wird nie vergessen, was er für uns getan hat! Sein Name ist mit unserem Land und unserer Geschichte auf ewig verbunden, und nur ein anderer Name darf noch im selben Atemzug mit ihm genannt werden: Alexander von Humboldt…“
    Vor einem Hotel der gehobenen Klasse hielten wir schließlich an. Im siebten Stock bezogen wir ein Appartement mit zwei Schlafzimmern und einem sehr schönen Wohnbereich. Da das Hotel am Hang lag, bot sich vom Balkon aus ein atemberaubender Blick über die Stadt. Am liebsten hätte ich noch länger hinausgeschaut, doch ich war so müde, dass ich mich schließlich aufs Bett fallen ließ und sofort einschlief.

A ls ich erwachte, war es tiefe Nacht. Ich brauchte einen Moment, um mich zu erinnern, wo ich war. In den Betten neben mir hörte ich meine Brüder gleichmäßig atmen. Ab und zu zerriss das Geräusch eines hupenden Autos die Stille, und das Flackern der vielen, abwechselnd grünen und roten Ampellichter warf bizarre Fratzen an die Decke.
    Ein schmaler, heller Streifen verriet mir, dass im Zimmer meiner Eltern noch Licht brannte. Leise rutschte ich aus dem Bett – dabei bemerkte ich, dass ich noch immer in denselben Klamotten steckte, die ich schon auf dem Flug anhatte. Zu müde war ich gewesen, um sie zu wechseln, doch jetzt konnte ich es kaum erwarten, in etwas Sauberes zu schlüpfen. Im Dunklen öffnete ich so behutsam wie möglich den Reißverschluss meines Koffers und zog einen Schlafanzug heraus. Den streifte ich über, bevor ich auf Zehenspitzen die Tür zu meinen Eltern aufdrückte.
    „Mel, Liebling, bist du endlich von den Toten auferstanden!“, lachte meine Mutter. Sie saß, den Rücken an einige dicke, weiche Kissen gelehnt, im Bett und hatte eine Schreibmappe auf dem Schoss, in die sie Notizen eintrug.
    „Wie spät ist es überhaupt?“, fragte ich und rieb mir die Augen.
    „Wir haben jetzt gleich Mitternacht“, sagte mein Vater nach einem Blick auf die Uhr. Ich überschlug ein paar Zahlen im Kopf. „Dann habe ich jetzt fast sieben Stunden geschlafen!“
    „Wie ein Stein! Wir waren übrigens noch im Museum“, ließ mich meine Mutter wissen. „Die Jungs waren auch dabei.“
    „Warum hat mich niemand geweckt?“, fragte
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