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Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast
Autoren: Residenz
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zuging, fiel ihm ein, daß die Post frühestens gegen Mittag eintreffen würde. Einige Kurgäste schienen abzureisen. Bei der Sitzgarnitur in der Halle stand ein großer Strohkoffer, auf dem zwei Regenschirme lagen.
    Wie alt mochte der Leo sein? Als H. mit dem Postautobus in Bad Fusch angekommen war – zum ersten Mal nicht mit einem Ochsengespann oder mit der Postkutsche –, hatte es ihn beeindruckt, ja berührt, als das mürrische Gesicht vom Leo, der die beiden großen Koffer von der Poststation ins Haus schleppte, plötzlich unmäßig zu strahlen begann, nachdem er ihn vor dem Hotel wiedererkannt hatte. H. hatte darauf bestanden, die Reisetasche selber zu tragen.
    »Jö, gibt’s denn dös, der Herr Doktor.«
    Gott sei Dank hatte der Leo sich in diesem Moment nicht an den Namen erinnern können. Wahrscheinlich, überlegte er, hat es mich deshalb so beeindruckt, weil der Hausdiener mich ja nicht als einen berühmten Schriftsteller kennt, sondern nur als einen langjährigen Sommergast, von Jugendjahren an. Allerdings lag sein letzter Aufenthalt hier viele Jahre zurück. Während er die Stufen zu seinem Zimmer hinaufstieg, überlegte er: Jener Sommer, als der Papa nach dem Tod der Mama durchaus nicht zu bewegen gewesen war, Wien zu verlassen? Nein … neunzehnhundertacht war er zuletzt in der Fusch gewesen, in jenem verregneten Juli, die Berggipfel schneebedeckt, als er hier, von Frau und Kindern getrennt, zurückgezogen am
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gearbeitet hatte.
    Wie alt mochte der Leo jetzt sein? Jedenfalls hatte er sich sehr geplagt, als er die Koffer zu dem Zimmer in den dritten Stock hinaufgeschleppt hatte. Dabei hatte er ihn sehr an die ungelenken Bauern- und Holzfällerfiguren von Alfons Walde und Albin Egger-Lienz erinnert.

JETZT HÄTTE er Lust gehabt, in den Briefen des Alexander von Villers über Bad Fusch nachzulesen, über Sankt Wolfgang, wie der Ort damals geheißen hatte. Aber der erste Band der Ausgabe, welchen er auf die Reise mitgenommen hatte, war bei Carl geblieben, der dem Reiz dieser Briefe sofort verfallen war. Der Villers, fiel ihm ein, hatte ja über Fusch eher gelästert, seine Sommer lieber in Ferleiten verbracht, im Gasthof
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, und war anscheinend einmal im Jahr oder vielleicht auch öfter nach Fusch heraufgewandert, um den Kurbetrieb für ein paar Stunden zu erleben und sich dann in Ferleiten umso wohler zu fühlen. Auch er selbst hatte in Ferleiten vor fünf Jahren eine gute Zeit gehabt. Warum hatte er nicht an Ferleiten gedacht, als er es in der Schweiz nicht mehr aushielt, als er überlegt hatte, wo er in der ersten Augusthälfte würde bleiben können, ehe er dann mit dem Schreiben in Altaussee bei der Familie fortfahren würde?
    Neunzehnhundertneunzehn, als er so krank gewesen war, als halb Wien an der Grippe gelitten hatte, hatte er sich nach Ferleiten am Fuße des Großglockners zurückgezogen, war als der einzige Gast mit den Wirtsleuten in der Küche gesessen, drei Wochen lang. Ob er sich eine Wanderung auf dem Fürstenweg nach Ferleiten zutrauen konnte? Eine Strecke höchstens, bis zu dem Steilstück mit den Felsenstufen. Unmöglich würde Ferleiten sich in den letzten Jahren so verändert haben wie Bad Fusch. Nur schwer konnte er sich zurückhalten, seiner Frau zu schreiben, ihr zu berichten, wie sehr sich Bad Fusch verändert hatte, so daß er sich beim ersten Spaziergang kaum zurechtgefunden hatte zwischen all den neu errichteten Gebäuden und Hütten. Beinah hatte er danach in seinem Zimmer vor Enttäuschung zu weinen begonnen, schrieb es dann der Erschöpfung nach der anstrengenden Reise zu. Nein, die Gerty würde sich bloß Sorgen machen um ihn, würde womöglich die Christiane herschikken, um nach ihm zu sehen. Die Gerty war ja selig, in Aussee endlich einmal alle ihre Kinder um sich zu haben, die beiden Buben vor allem, die sich ohnehin in Kürze wieder in alle Welt davonmachen würden.
    Ich will mich an all die Veränderungen gewöhnen, nahm er sich vor. Die etwas breiter gewordene und, wie ihm schien, noch staubigere Dorfstraße zog sich in der Form eines S durch den winzigen Ort, der jetzt bloß dichter, Haus an Haus beinah, verbaut war, Hotels, Kurhaus, Dependancen, Postamt, das kleine Geschäft; am Ortsausgang sogar eine kaisergelbfarbene Villa. Mitten im Ort, bergseitig, etwas erhöht auf einem Plateau, unverändert die kleine Kirche, hinter der ein etwas verbreiterter Pfad hinaufführte zum Schwimmteich und zur Fürstenquelle. Der früher dicht bewaldete Hang hinter
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