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Der Fliegende Holländer

Der Fliegende Holländer

Titel: Der Fliegende Holländer
Autoren: Tom Holt
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Haufen Lügen zusammensetzte; zumal Vanderdecker auf und davon gelaufen war, ohne abzuwarten, ob die betreffende Bardame treu bis zum Tod oder auch nur bis zu einer leichten Erkältung sein würde. Natürlich war er damals jünger – ein Grünschnabel von hundertsechzehn Jahren – und noch von dem wilden Leitgedanken besessen, hin und wieder seinen Spaß zu haben. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen er heutzutage noch Bardamen kennenlernte, betrachtete er sie lediglich als weibliche Wesen, die dafür bezahlt wurden, ihm alkoholische Getränke zu verkaufen.
    Das Mädchen schaute zum drittenmal innerhalb von vier Minuten auf die Uhr und schlug vor, sich lieber auf die Beine zu machen, da sie ansonsten zum ersten Akt zu spät kommen könnten. Ihr Begleiter meinte, das habe keine Eile und außerdem wolle er ihr noch die ganze Handlung zu Ende erzählen. Sie antwortete, daß sie sich schon irgendwie durchwursteln werde, und Vanderdecker gewann immer mehr den Eindruck, daß sie sich nicht besonders amüsierte.
    Schließlich standen die beiden auf und gingen. Der Fliegende Holländer starrte in sein Glas und fragte sich, warum sich die Menschheit ausgerechnet die Braukunst als Experimentierwiese hatte aussuchen müssen, wenn sich über all die Jahrhunderte hinweg im Grunde so wenig geändert hatte. Zu seiner Zeit warf man etwas Malz in einen Kübel, schüttete kochendes Wasser hinzu und ließ das Gebräu etwa eine Woche lang in der Ecke stehen. Zumindest in seiner Erinnerung war das Ergebnis dieser Laisser-faire-Methode dem modernen Verfahren in jeder Hinsicht vorzuziehen – oder sollte es sich dabei nur um ein weiteres Indiz handeln, daß er allmählich älter wurde? Glücklicherweise hatte er natürlich nicht wirklich mit dem Alter zu kämpfen. Er sah genauso aus wie im Jahre 1585 und fühlte sich auch so – was man seiner Ansicht nach von Dover Castle nicht gerade behaupten konnte.
    Seine melancholischen Gedanken zum Thema Bier brachten ihn auf weit melancholischere Gedanken bezüglich der Irrungen und Wirrungen des Daseins an sich und welche Rolle er darin spielte – zumal sein Leben bereits sehr viel länger als das jedes anderen Menschen währte. Seines Wissens war seine Rolle in der Geschichte nicht bedeutender als die von anderen Menschen und entsprach eher der von Kartoffeln bei einem durchschnittlichen Kantinenessen: sie erfüllen keinen sinnvollen Zweck, aber es gibt immer eine Menge davon. Aber auch das war keineswegs ein neuer Gedankengang, und er wußte mittlerweile, wie er damit umzugehen hatte. Er trank aus und bestellte sich an der Bar ein weiteres Bier.
    Während er am Tresen stand und in der Tasche nach Kleingeld suchte, erging er sich an dem alten ›Das-waren-noch-Zeiten‹-Spiel, an dem er vor etwa einem Jahrhundert kurzfristig Gefallen gefunden hatte, das ihn heute allerdings nur noch wütend machte. Das waren noch Zeiten, sagte er sich, als Geld noch richtiges Geld war, das aus massivem Silber hergestellt wurde und mit einer Menge römischer Zahlen versehen war. Das waren noch Zeiten, als man noch zum selben Preis wie für dieses lächerliche Glas den gesamten Biervorrat von Bayern hätte kaufen können, und zwar samt Getränkesteuer und Fracht. Das waren noch Zeiten, als es noch Hosen mit Schlag gab – daran merkt man, wie alt man wird.
    Während er sich mit seinem Glas an einen Tisch setzte, versuchte er an etwas zu denken, das ihn ausnahmsweise einmal von den ständigen Gedanken um sein Alter ablenken könnte.
    Er versuchte daran zu denken, was er als nächstes vorhatte. Aber das würde ihm natürlich auch nicht sehr viel weiterhelfen, weil er ganz genau wußte, was er als nächstes vorhatte. Zunächst würde er sich schrecklich besaufen, dann ins Hotel zurückkriechen und am nächsten Morgen mit dickem Kopf aufwachen, was alles andere als eine gute Voraussetzung war, um anschließend in der Geschäftsstraße Hatton Garden seine Zeit mit dem Verscherbeln von Goldbarren zu verbringen. Nach dem Verkauf der Goldbarren wollte er durch ein paar Buchläden ziehen und sich ausreichend Lesematerial besorgen, das ihn davor bewahren sollte, während der nächsten sieben Jahre total verrückt zu werden. Anschließend wollte er die restlichen Einkäufe erledigen, und danach würde ihm noch genug Zeit verbleiben, um sich vor seiner Rückkehr nach Bridport – wo sein beschissenes Schiff und seine noch beschisseneren Schiffskameraden bereits auf ihn warteten – sinnlos zu besaufen. Es war nicht
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